Berlin - Die Zahl der in der Türkei inhaftierten Deutschen ist in den vergangenen sechs Monaten von 47 auf 62 gestiegen. Weitere 38 Bundesbürger sitzen wegen einer Ausreisesperre in der Türkei fest.
Deniz Yücel ist seit eineinhalb Jahren frei. Doch noch immer warnt die Bundesregierung vor Festnahmen in der Türkei wegen regierungskritischer Äußerungen. Wie viele Deutsche auf diese Weise in türkischen Gefängnissen landen, ist aber unklar.
Berlin - Die Zahl der in der Türkei inhaftierten Deutschen ist in den vergangenen sechs Monaten von 47 auf 62 gestiegen. Weitere 38 Bundesbürger sitzen wegen einer Ausreisesperre in der Türkei fest.
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Wie viele davon aus politischen Gründen - etwa wegen Terrorwürfen - in türkischen Gefängnissen sind oder nicht ausreisen dürfen, ist allerdings unklar. Das Auswärtige Amt (AA) führt dazu seit dem vergangenen Jahr keine Statistik mehr.
Die neuen Zahlen gehen aus Antworten des Staatssekretärs Andreas Michaelis aus dem AA auf Fragen der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Gökay Akbulut hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Die Zahl der deutschen Staatsbürger, denen die Einreise in die Türkei verweigert worden ist, ist danach rückläufig. 2017 waren es noch 95, im vergangenen Jahr 80, in diesem Jahr dagegen bisher nur neun.
Das Auswärtige Amt weist allerdings darauf hin, dass die Statistik möglicherweise lückenhaft ist. "Nicht alle Fälle von Einreiseverweigerungen deutscher Staatsbürger in die Türkei werden der Bundesregierung zwingend zur Kenntnis gebracht", schreibt Michaelis.
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 hatten Einreiseverweigerungen und Festnahmen deutscher Staatsbürger deutlich zugenommen, was die Beziehungen beider Länder massiv belastete. Die Freilassung des prominentesten deutschen Häftlings in der Türkei, des Journalisten Deniz Yücel, leitete vor eineinhalb Jahren allerdings eine Phase der Entspannung ein.
In den Reisehinweisen des Auswärtigen Amts wird trotzdem weiterhin mit deutlichen Worten vor Festnahmen und Zurückweisungen an der Grenze gewarnt. "Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen", heißt es dort. Es reichten manchmal regierungskritische Stellungnahmen in den sozialen Medien oder auch nur das "Liken" eines fremden Beitrags entsprechenden Inhalts für eine Inhaftierung aus.
"Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation an die türkischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden." Im Falle einer Verurteilung wegen "Präsidentenbeleidigung" oder "Propaganda für eine terroristische Organisation" riskierten Betroffene eine mehrjährige Haftstrafe.
Im Februar hatte das Auswärtige Amt mitgeteilt, dass 47 Deutsche in türkischen Gefängnissen sitzen. Diese Zahl ist nun um fast ein Drittel gestiegen. Während der tiefen Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen hatte das AA die politischen Fälle noch separat ausgewiesen. Zuletzt wurden 2018 noch vier gezählt.
Jetzt macht das Ministerium die Unterscheidung nicht mehr. Die Begründung lautete im Februar: "Nicht in allen Fällen ist eine abschließende Beurteilung der Verfahren möglich, weshalb eine binäre Einordnung in "politischer Fall" und "nicht-politischer Fall" nicht immer eindeutig möglich ist."
Der bekannteste der früher als politisch eingestuften Fälle ist der des 74-Jährigen Enver Altayli. Am 20. August jährte sich seine Festnahme zum zweiten Mal. Er sitzt wegen Terrorvorwürfen im Hochsicherheitsgefängnis Sincan in Ankara ein - nach Angaben seiner Tochter immer noch ohne Anklageschrift. Was ihm genau vorgeworfen wird, ist bis heute unklar. Altayli war 2017 in Antalya festgenommen worden, wo die Familie eine Ferienanlage betreibt.
Dem türkischen Anti-Terror-Gesetz zufolge können Verdächtige bis zu sieben Jahre festgehalten werden; im Rahmen einer Reform wird diskutiert, diese Zeitspanne deutlich herunterzusetzen. Die Familie hofft nun auf eine Art Zwischenbeurteilung, die nach zwei Jahren, also bald, in Anwesenheit des Staatsanwalts anstehen müsste.
Anfang August wurden eine ganze Reihe neuer Fälle bekannt, in denen Deutsche mit der türkischen Justiz in Konflikt geraten sind. Die meisten wollten Urlaub machen. Ein 36 Jahre alter Mann aus Hessen mit türkischen Wurzeln musste beispielsweise Ende Juli im Badeort Antalya in U-Haft. Was aus ihm geworden ist, ist unklar. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Freitagabend, dass der Mann mittlerweile konsularisch betreut werde. Ein Bremer, der vier Wochen lang wegen Facebook-Posts in der Türkei festgehalten worden war, durfte inzwischen nach Deutschland ausreisen.
Die Linke fordert nun wieder eine härtere Gangart gegenüber der Türkei. Die Bundesregierung müsse "endlich klare Kante zeigen", sagte die Bundestagsabgeordnete Akbulut. "Die Türkei ist geübt, gezielt Personen als sogenannte politische Geisel festzunehmen." Die stellvertretende Fraktionschefin Sevim Dagdelen sagte, der "Schmusekurs" der Bundesregierung gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei "einer Demokratie unwürdig" und müsse beendet werden. "Während Erdogan weiterhin auf Konfrontation setzt, legt Deutschlands Chefdiplomat (Heiko) Maas die Hände in den Schoß."
Yücel wird seine Erinnerungen an die Haft übrigens Anfang Oktober in einem Buch veröffentlichen. Er arbeitet inzwischen wieder als Korrespondent für die Tageszeitung "Die Welt".