Bühne am Wasserturm Jean Paul und die Rollwenzelin: „Ein Denken mit zwei Köpfen“

Ein Zwei-Personenstück in loser Szenenfolge. 75 intensive Minuten vor pandemiebedingt eingeschränkter Zuschauermenge. Ideal für die Sommerspiele der Studiobühne Bayreuth in der Eremitage.

Die Rollwenzelin (Conny Trapper) unterhält sich gern mit dem Dichter Jean Paul (Gordian Beck). Und sie weiß, was ihm schmeckt – die von ihr gekochten Kartoffeln, Foto: Fotograf Peter Kolb

Bayreuth - Der Weg von der Stadt hinauf zur Eremitage ist ein besonders schöner. Das wusste schon der Dichter Jean Paul, der bevorzugt am Fuße der Straße einkehrte und schrieb. Diese Strecke legte wohl auch ein Teil der Zuschauer zurück, die sich das Zwei-Personenstück „Der Legationsrat“ über eben jenen Schriftsteller in der Eremitage ansahen. Wenngleich sie eher mit dem Auto oder dem Fahrrad gekommen sein dürften.

Nach der Werbung weiterlesen

Ein Blick nach rechts lohnt sich also, wenn man in die Eremitagestraße einbiegt. Denn hier steht noch immer die alte Rollwenzelei. Ab November 1809 erhielten Friedrich und Anna Dorothea Rollwenzel das Schankrecht. In dem historischen Gebäude befindet sich noch heute Jean Pauls Dichterstube. Ein Förderverein setzte sich für die Restaurierung des Hauses ein und richtet dort 2010 das kleinste Museum Bayreuths ein. Die Rollwenzelin genannte Wirtin soll später über das Zimmer gesagt haben: „Das ist die Stube!“ Hier hat Jean Paul seit zwanzig Jahren fast tagtäglich gesessen und geschrieben; hier an diesem Tische hat er gearbeitet, viel gearbeitet, ach Gott, er hat sich zu Tode gearbeitet.“

Und so fängt das Stück von Eberhard Wagner mit der Wanderung des Jean Paul zu seiner Lieblingseinkehr an. Jean Paul, das ist Gordian Beck, zu dem die Rolle des exzentrischen, humorvollen, wortgewandten Autors vorzüglich passt. In einem langen, braunen Mantel, mit schwarzem Hut und Stock kommt er schnaufend hinter den Zuschauern an (Kostüm: Heike Betz). Ein Kniff der Regie (Birgit Franz), wodurch das Publikum gezwungen ist, sich umzudrehen und die Perspektive zu wechseln.

Der Bayreuther Mundartforscher und Kabarettist Eberhard Wagner schrieb vier Szenen und eine Epilog frei nach Werken von Jean Paul. „Hinauf und hinaus aus der Stadt mit den engen Winkeln, den engen Winkelgedanken“, lässt er ihn sagen. Bei der bäuerlichen Wirtin schöpft er Kraft für neue, dichterische Werke. Die Rollwenzelin (Conny Trapper), eine einfache Frau mit Sinn fürs Praktische, ist ihm eine innige Vertraute und Freundin. Wagner macht aus ihnen ein ungleiches Paar, das sich womöglich gar heimlich liebte.

Die Bühne am Wasserturm kommt mit wenig Requisiten aus: ein Tisch, zwei Stühle, Bierkrug und Feder. „Herr Leggodionsrod“, ist die ehrfürchtige Anrede der Rollwenzelin für den vergeistigten Dichter. Während sich jener äußert gewählt ausdrückt, ist ihre Sprache derb und direkt. So „gescheit daher reden“ wie der intellektuelle Poet kann sich nicht. Und doch hat sie ein gutes Herz und kann zuhören. Denn der Legationsrat redet wie ein Wasserfall. Ob über die Liebe im Alter, Erdäpfel, Bier, die Schrecken des Krieges, dunkle Gedanken, die ihn plagen. Er sinniert, philosophiert, schwadroniert und predigt. Mitunter gerät er dabei in Rage oder in eine unendliche Erschöpfung. „So schnell wirft es mich von der einen Waagschale auf die andere“, sagt er über seine Stimmungsschwankungen.

Die ältere und lebenserfahrene Rollwenzelin bringt ihn wieder ins Gleichgewicht. „Ein Denken mit zwei Köpfen“, das dem Dichter anscheinend gefallen haben könnte. Die bodenständige Wirtin, die Conny Trapper wie auf den Leib geschrieben scheint, hat einen schier unendlichen Vorrat an Bier. Was der feine Herr mit wirrem Haar, runder Brille, großen Koteletten und hochgestelltem Kragen zu schätzen weiß. Gleicht doch sein Durst einem „Danaidenfass“. Mit ihm werde sie in die Unsterblichkeit eingehen, prophezeit Jean Paul der Rollwenzelin. Sie verstarb 1830 und überlebte den Dichter um fünf Jahre.

Eine ungleiche Freundschaft, die so durchaus hätte sein können. Eberhard Wagner hatte den Stoff bereits 1984 in einer szenischen Lesung verarbeitet. Ab 1991 spielte er das Stück mit Ilse Schörner, zehn Jahre später übernahm Hans Walter Bottenbruch. Und seit 2013, dem Jean Paul-Jubiläumsjahr, spielen Gordian Beck und Conny Trapper diesen Ausschnitt aus der Bayreuther Lokalgeschichte. Wer sich für Bayreuther Kultur und Stadtgeschichte interessiert, der sollte das zu den „Lockerspielen“ wieder aufgelegte Stück nicht verpassen.

Weitere Termine: 23., 29. Juni und 4. Juli, jeweils um 20 Uhr sowie am 27. Juni um 17 Uhr