Kritik am neuen Bürgergeld Es reicht nicht zum Leben

Peter Engelbrecht
Marion Hofmann (links) und Agathe Wachter (rechts). Foto: Peter Engelbrecht

Das nun beschlossene neue Bürgergeld ab dem 1. Januar 2023 reiche nicht aus. Das sagen die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Arbeitslose in Kulmbach. Sie haben gute Argumente.

 
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Das neue Bürgergeld, das am Freitag von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, stößt bei der Beratungsstelle für Arbeitslose in Kulmbach auf Kritik.

Auch wenn der Regelsatz unter dem Namen Bürgergeld zum 1. Januar 2023 für einen alleinstehenden Erwachsenen um rund 50 Euro von bisher 448 auf 502 Euro erhöht werde, sei das „nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, erläuterte Marion Hofmann von der Beratungsstelle. Seriöse Studien, wie die vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, hätten bereits vor den Preissteigerungen in diesem Jahr einen Regelsatz von 649 Euro gefordert, um ein menschenwürdiges Leben und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Nach aktuellen Berechnungen des Verbandes wären aber mehr als 700 Euro im Monat notwendig.

Der Generalverdacht: Die Diskussion über das Bürgergeld, „das endlich die menschenunwürdige Gesetzgebung der Agenda 2010, Hartz IV, ablösen soll, sei geprägt von Falschinformationen und einem mehr als fragwürdigen Menschenbild. Nach wie vor bestünden vor allem die unionsgeführten Bundesländer auf einem Generalverdacht gegenüber jedem, der gezwungen sei, diese Leistungen zu beantragen. Jeder Bezieher werde als potenzieller Sozialbetrüger gebrandmarkt, kritisierte Hofmann. Wer solche Ansichten vertrete, habe „absolut keine Ahnung von der Realität.“

Nahverkehr: Hofmann nannte einige Beispiele: Für Verkehr sei ab dem 1. Januar 2023 beim Bürgergeld ein Betrag von 45,02 Euro vorgesehen. Aktuell seien es bei Hartz IV 40,01 Euro. Dies ist der Regelsatz für einen erwachsenen Alleinstehenden. Das billigste Monatsticket in Bayreuth, mit dem man aber erst ab 9 Uhr fahren dürfe, kostet 41,40 Euro. Für ein Soloticket müsse man 46,50 Euro berappen. Von dem viel gepriesenen 49-Euro-Ticket brauche man gar nicht zu reden.

Internet: Für Post und Telekommunikation beträgt der Regelsatz aktuell 39,88 Euro, das künftige Bürgergeld sieht dann 44,80 Euro im Monat vor. Laut Statistischem Bundesamt geben Singles in Deutschland monatlich durchschnittlich 48 Euro für diesen Bereich aus. Für die Internetnutzung brauche man aber auch die entsprechende Hardware. Ein Personal Computer, ein Drucker, ein internetfähiges Handy und ein Router wollten bezahlt sein.

Gesundheit: Für die Gesundheitspflege sind laut Regelsatz aktuell 17,02 Euro im Monat vorgesehen, beim Bürgergeld sind es dann 19.16 Euro. Das Geld sei gedacht für Rezeptgebühren, rezeptfreie Medikamente oder Gesundheitsleistungen, die von der Krankenkasse nicht übernommen werden, berichtete Hofmann. „Das mag hinkommen, wenn man keinerlei gesundheitliche Probleme hat, nie eine Erkältungsmedizin oder eine Brille braucht.“

Wohnen: Für den Bereich Wohnen, Energie und Wohnungsinstandsetzung gibt es aktuell 37,81 Euro im Monat für einen Single, beim künftigen Bürgergeld sind es 42,55 Euro. Darin seien vor allem Kosten für den Haushaltsstrom enthalten, die jeder selbst bezahlen müsse.

Das Fazit von Hofmann zum neuen Bürgergeld: „Von der Reform bleibt nur eine Ruine. Sie verdient ihren Namen nicht.“

Der Betonbauer: Zwei Hartz-IV-Empfänger erzählten in der Beratungsstelle für Arbeitslose von ihrer aktuellen Situation. Sie wollten aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Ein 59-jähriger Betonbauer, der fast 40 Jahre gearbeitet hat, massive gesundheitliche Probleme hat, zu 30 Prozent schwerbehindert und nicht 100 Prozent leistungsfähig ist, tut sich schwer, eine neue Arbeit zu finden. Nach einer Operation an der Hand kann er nur leichte körperliche Tätigkeiten verrichten. Er ist nun seit 2017 arbeitslos, Hartz IV bezieht er seit 2020. „Ich würde sofort 120 Stunden im Monat arbeiten. Aber wenn die Arbeitgeber hören, dass ich nicht 100-prozentig leistungsfähig bin, bekomme ich keine Arbeit“, erzählte der Mann von seinen Erfahrungen. Er hat sich bei Zeitarbeitsfirmen beworben und Initiativbewerbungen gestartet – kein Job in Sicht. „Ich würde alles machen, darf nur nicht mehr schwer heben“, betonte der Mann.

Der Autolackierer: Der zweite Arbeitslose, der sich zum Gespräch mit den Medien bereit erklärte, ist 56 Jahre alt. Er war 37 Jahre Autolackierer. 2018 wurde er entlassen, da es für ihn keine Arbeit mehr gab. Das Arbeitslosengeld 1 reichte nicht, deshalb musste er sofort auf Hartz IV aufstocken. Auch er ist gesundheitlich stark angeschlagen. Die lange Arbeitslosigkeit habe zu Depressionen geführt, erzählte er. Bei einer Reha sei festgestellt worden, dass er in seinem Beruf nicht mehr arbeiten kann. Er versucht nun, eine Hausmeistertätigkeit mit 30 Wochenstunden zu bekommen – bislang vergebens.

Krank und keine Arbeit: Agathe Wachter von der Beratungsstelle sagte: „Wenn sich ein 59-jähriger Betonbauer bei einem Discounter an der Kasse bewirbt, wird er nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen.“ Und: „Für Menschen mit bestimmten gesundheitlichen Einschränkungen gibt es keine Arbeitsplätze.“ Man tue den Betroffenen unrecht, wenn man ihnen vorwerfe, sie wollten nicht arbeiten. Diese Menschen lebten ständig am finanziellen Abgrund.

Druck auf Arbeitslose?: Das Argument, man müsse nur Druck auf Arbeitslose ausüben, dann würden sie schon in Arbeit kommen, lässt ihre Kollegin Hofmann nicht gelten. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit habe ergeben, dass Sanktionen keine positiven Auswirkungen für eine Jobsuche hätten. Dies führe eher zu einem sogenannten Drehtüreffekt: Menschen müssten eine minderwertige, schlecht bezahlte und zeitlich begrenzte Arbeit annehmen, würden dann aber wieder arbeitslos. Die in den vergangenen Wochen so hitzig diskutierten Sanktionsmöglichkeiten fallen derzeit kaum ins Gewicht. Aktuell werden laut Arbeitsagentur die Leistungen von nur 0,9 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher sanktioniert.

Info: Die Beratungsstelle für Arbeitslose in Kulmbach wird von der Katholischen Betriebsseelsorge und dem Diakonischen Werk getragen. Sie ist unter 0 92 21/43 77 zu erreichen. Die Nebenstelle in Bayreuth hat die Telefonnummer 09 21/ 78 77 48 73.

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