Auf dem Land erwartet die Menschen jedoch dieselbe Ausweglosigkeit. Philipp Trenz schildert die Zustände in den peruanischen Gebirgsdörfern: „Bis zu zehn Personen samt Nutztieren müssen in einer Ein-Raum-Hütte ohne fließendes Wasser und Strom ausharren.“ Weniger ablenkende Geselligkeit, die manche Menschen der Ersten Welt während der Kontaktbeschränkungen fordern, als vielmehr steigende Gewalt ist zu erwarten in einem Land, in dem Frauen nicht für Quoten, sondern für ihr Leben auf die Straße gehen. Die Rate häuslicher Gewalt in der Region Apurimac führt die Liste des Landes an. Laut einer Studie, die von staatlicher Seite in Auftrag gegeben wurde, liegt sie bei 79 Prozent.
Bislang betreut casayohana vor allem Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten. Trotz der strikten Ausgangssperren versuchten die Helfer zunächst noch, im dunkelgrauen Bereich der Legalität über nicht ausgebaute Wege zu Familien zu gelangen, die dringend Hilfe benötigten.
Riesiges Gebiet
Das Gebiet ist riesig: Die Betroffenen – zum Großteil indigene Quechua – leben in bis zu 5000 Metern Höhe. Philipp Trenz hatte für sie zuletzt unzählige Hilfspakete mit Grundnahrungsmitteln und Medikamenten geschnürt, die möglichst für einen Monat reichen sollen. Krankenbesuche, Medikamententransporte, Essenslieferungen seien mittlerweile kaum noch durchführbar, ohne hohe Geld- und Gefängnisstrafen zu riskieren.
Wie sich die Lage für die Familien in den Hütten in den kommenden Wochen zuspitzen wird, hängt zentral von einer politischen Lösung ab, die deren Versorgung trotz des Ausgangs- und Arbeitsverbots gewährleisten kann und dies auch mit allen Konsequenzen wirklich will. Weltweit litten vor der Pandemie elf Prozent der Weltbevölkerung an Hunger. Bis sich die Corona-Maßnahmen auf neue Hungersnöte durchschlagen, dauere es nur einige Tage, so die Einschätzung von Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe: „Lockdowns und Sperren – das wissen wir aus Erfahrung – führen stets zu einer massiven Verschärfung der wirtschaftlichen Situation von Haushalten. Die Menschen stehen sofort ohne alles da. Sie können die Felder nicht mehr bewirtschaften, haben keine Arbeit mehr und ihnen fehlen Reserven.“
Schutzmaßnahmen werden zur Lebensbedrohung
Der Hunger, der dadurch aufkommt, weist damit eine neue Struktur auf in diesen Regionen. Es ist der Hunger derer, die sich bislang ausreichend selbst versorgen konnten, nun aber abgeschnitten sind. Von Einkommensmöglichkeiten, von Lebensmittelmärkten, teils sogar von Hilfsorganisationen, die die Opfer der Krise in der Krise noch gar nicht erfassen können. So werden die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus – obgleich deren epidemiologische Berechtigung keineswegs in Frage zu stellen ist – zur Lebensbedrohung für Menschen, die bislang noch gar nicht auf fremde Hilfe angewiesen waren.
Eine Rechnung der Welthungerhilfe versucht das Ausmaß dieser Bedrohung zu beziffern: „Wir gehen davon aus, dass schon bei einem Prozent weniger Wirtschaftswachstum die Zahl der Armen und Hungernden um zwei Prozent steigt.“
Weltweit ist die Arbeit zahlreicher Hilfsprojekte zusätzlich noch durch die Abreise der ausländischen Helfer erschwert. Auch Philipp Trenz ist soeben mit einem von der Bundesregierung gecharterten Flug wieder zu Hause angekommen.
Um zum Flughafen zu gelangen, musste er sich zwei Tage in einer rechtlich beängstigenden Lage quer durchs Land bewegen. „Es ist schon ungewöhnlich, wenn Militärs mit Maschinengewehren durch die Straßen laufen und auch mal ein Panzer vorbeifährt. Dazu Gerüchte und Unstimmigkeiten rund um die Ausreise. „Bis zur Ankunft am Flughafen waren wir uns nicht sicher, ob wir je dort ankommen würden.“
Was für manch westlichen Touristen des Typs „Trophäensammler“ ein aufregendes Abenteuer wäre, das sich neben Bildern aus Machu Picchu gut in Instagram-Storys und reißerischen Erzählungen verwerten ließe, bedeutet für Trenz und seine Teamkollegen die Ungewissheit, ob und in welcher Verfassung sie die peruanischen Familien im kommenden Jahr antreffen werden.
Wie könnte eine globale Solidarität für die Ärmsten nun aussehen? Die Frage ist so alt wie überfordernd, eine entschlossene Antwort zu finden war aber nie so drängend wie jetzt.
Info: Das Hilfsprojekt casayohana wurde 2018 von drei Geschwistern aus Creußen ins Leben gerufen. Es schützt Frauen und Familien, hilft ihnen aus dem Umfeld häuslicher Gewalt heraus und ermöglicht therapeutische Angebote im Hochland von Peru.
Dazu gehören Hygiene- und Entwicklungsschulungen, Beziehungs- und Erziehungsberatung und Logo-, Physio- und Ergotherapie. Die kulturnahe, praktische und nachhaltige Hilfe ist eng abgestimmt mit einheimischen Behörden, Kirchen und NGOs.