Bayreuther Festspiele Viele Buh-Rufe nach „Siegfried“-Premiere

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Andreas Schager als Siegfried und Daniela Köhler als Brünnhilde. Foto: Enrico Nawrath

Nach der „Siegfried“-Premiere der Bayreuther Festspiele gibt es viele Buh-Rufe. Die Sänger werden mit Bravos gefeiert.

 
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Ein szenisch quirliger erster Aufzug, ein heldenhaft singender Andreas Schager als Siegfried und erneut eine über weite Strecken des Abends miserable Textverständlichkeit – auch bei der „Siegfried“-Premiere der Bayreuther Festspiele gab es Licht und Schatten.

Nach seinem Bühnenunfall am Montag als Wotan in der „Walküre“ stand Tomasz Konieczny nun wieder, wie angekündigt, auf der Bühne. Im ersten Aufzug sorgten Andreas Schager und Arnold Bezuyen als Mime für szenisches Dauerfeuer.

In sehr gedehntem Tempo fanden im dritten Aufzug schließlich Siegfried und Brünnhilde (Daniela Köhler) zueinander. Insgesamt gab es vom Premierenpublikum viel Zustimmung für die Sänger.

Das Regieteam wird sich erst nach der „Götterdämmerung“ am Freitag vor dem Vorhang zeigen. Bei einigen Besuchern hat sich offenbar viel Ärger angestaut.

Wie meinte doch ein Besucher in der zweiten Pause der „Siegfried“-Premiere beim Verlassen des Festspielhauses: „Wieso Hagen? Der ist doch noch gar nicht dran.“

Na ja. Offenbar hatte dieser Festspielgast Richard Wagners Textbuch gelesen und sich gut vorbereitet. Insofern konnte er in den „Ring“-Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen bislang eine Überraschung nach der anderen erleben.

Das Regieteam um Valentin Schwarz hat in diesem neuen „Ring des Nibelungen“ nicht nur ein eigenes System von szenischen Leitmotiven entwickelt, es greift auch in das komplexe Netz der verwandtschaftlichen Beziehungen dieser Familiensaga ein. Siegfried ist in dieser Lesart Wotans Enkel und Sohn zugleich. Man spricht hier wohl von doppeltem Inzest. Was Hagen betrifft, so will die Regie den gesamten Entwicklungsprozess des Mannes beleuchten, dessen Gewaltpotenzial sich in der noch folgenden „Götterdämmerung“ Bahn brechen wird.

„Der junge Hagen“

Sogar auf dem Besetzungsblatt dieser „Siegfried“-Produktion taucht „Der junge Hagen“ (Igor Schwab) auf. In der Inszenierung ist er gelb gekleidet. Wer über ein gutes Gedächtnis verfügt (oder sich die Einführungsvorträge angehört hat) wird sich erinnern: Bereits im „Rheingold“ tobte ein gelb gekleideter Junge durch den Kinderhort und tyrannisierte die Mädchen. Schon damals litt der kleine Hagen unter der Situation. Im „Siegfried“ taucht er wieder auf und sitzt zunächst am Pflegebett des siechen Fafners. Siegfried und Hagen freunden sich an. Doch als Siegfried sich mehr und mehr zu Brünnhilde hingezogen fühlt, erlebt Hagen dies als Kränkung. Wozu diese führen wird, wird man wohl in der „Götterdämmerung“ sehen.

Im Rückblick

Der Fall Hagen zeigt, dass sich in dieser „Ring“-Inszenierung manches erst im Rückblick erschließt. Bekanntlich ist es ein Charakteristikum dieses Stücks, dass Richard Wagner in seiner Partitur mit musikalischen Motiven des Ahnens und des Erinnerns arbeitet. Ähnlich versucht das die Regie in dieser Produktion. Allerdings nicht deckungsgleich mit Wagner. So wird manches klar und zugleich tauchen neue Fragezeichen auf.

Diese Fragezeichen tauchen aber nur auf, wenn man das Stück vorab gelesen hat. Wer sich darauf verlässt, den Text der Sänger im Moment der Aufführung zu verstehen, geht völlig unter. Dann ziehen weite Passagen der Stücke wie ein Mysterium an einem vorbei. Dieses Manko konnte man in der „Tristan“-Premiere noch akzeptieren, wenn man davon ausgeht, dass ohnehin in der Musik alles gesagt wird. Im „Ring“ mit seiner komplexen Handlung stellt die über weite Strecken der Aufführungen mangelnde Textverständlichkeit ein weitaus größeres Problem dar.

Zerstörte Natur

Nicht jedoch bei den Naturschilderungen, von denen Wagner im „Ring“ einige komponiert hat. Die Inszenierung von Valentin Schwarz macht dabei sehr deutlich, dass die Zerstörung der Natur durch die Zivilisation sehr weit vorangeschritten ist. Im ersten Aufzug, in dem Andreas Schager als Siegfried und Arnold Bezuyen als Mime äußerst spielfreudig ein szenisches Feuerwerk abbrennen, ist der letzte Rest von Natur in ein kleines Aquarium verbannt. Konsequenterweise findet das spätere „Waldweben“ allein im Orchester statt. Viel ist nicht übrig geblieben, wenn die Generation um Wotan abtritt und die Generation um Siegfried übernimmt. Staunend, mit großen Augen übernehmen die Jungen die Hinterlassenschaften der alten Männer. Das hat die Regie im dritten Aufzug sehr eindringlich gezeigt. Wotan, der in seinem letzten Aufeinandertreffen mit Erda zunächst auch wieder nur das Eine im Sinn hatte, wird von seiner einstigen Geliebten mit seinem eigenen Versagen konfrontiert. Der Göttervater schleicht sich.

Heutige Familiensaga

Seinem Anspruch, Wagners „Ring“ als eine heutige Familiensaga zu erzählen, wird das Regieteam mit diesem „Siegfried“ gerecht. Ob sich am Ende des monumentalen Werkes alle Knoten lösen werden, wird die „Götterdämmerung“ zeigen.

Nach dem Verklingen des Schlussakkordes im „Siegfried“ gab es viele Buh-Rufe im Festspielhaus. Große Zustimmung erfuhren die Sänger, insbesondere Andreas Schager (Siegfried) wurde gefeiert. Bravos gab es auch für Daniela Köhler (Brünnhilde), Olafur Sigurdarson (Alberich), Okka von der Damerau (Erda), Arnold Bezuyen (Mime) und Tomasz Konieczny (Wanderer), der nach seinem Bühnenunfall in der „Walküre“ wieder im Einsatz war.

Jetzt steht das Endspiel bevor.

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