Andreas M. denkt mit Grauen an den Tag zurück: Gegen 12 Uhr hat er sich mit seiner Lebensgefährtin Sylvia K. gestritten. Ein Allerweltsstreit, eine Alltäglichkeit. Es ging um den Müll. Als er mit dem Sohn des Paares kurz darauf vom Spielen zurück in die Wohnung kommt – „sie hatte kurz zuvor noch Staub gesaugt“ – taumelt die 45-Jährige. „Sie hört und sieht nichts mehr“, habe sie dem 38-Jährigen noch mitgeteilt. Er bettet sie auf einen Sessel, ruft den Notarzt. „Um 12.20 Uhr war Dr. Wolfgang Gruber da, das ging blitzschnell. Er sagte, man müsse vom Schlimmsten ausgehen: Verdacht auf Schlaganfall. Um 12.48 Uhr wurde sie im Klinikum in der Notaufnahme den Ärzten übergeben.“ Paracetamol gegen KopfwehSeine Lebensgefährtin habe sich ständig übergeben müssen, sei bewusstlos gewesen und nicht ansprechbar. Nach einer Stunde habe man eine Computertomographie gemacht, eine Hirnblutung ausgeschlossen. „Danach wurde sie in die Stroke Unit gebracht und man hat erst mal gar nichts mehr gemacht“, sagt M. im Kurier-Gespräch. „Am nächsten Tag hat man sie ins Bezirkskrankenhaus verlegt mit der Diagnose, sie habe eine dissoziative Störung, weil wir gestritten hatten.“ Im Bezirkskrankenhaus, sagt M., habe man seiner Lebensgefährtin wegen starker Kopfschmerzen zwei Mal Paracetamol verabreicht. Weitere diagnostische Behandlungen hätten bei der Frau, die zudem über Sehstörungen klagte, nicht stattgefunden. „Obwohl ich mehrfach gesagt habe, sie sollen doch bitte endlich eine Kernspintomographie machen.“ Als die 45-Jährige entlassen werden sollte, „war sie schon ein Pflegefall, konnte nicht laufen, nicht selber essen. Sie saß im Rollstuhl und war völlig weg“, sagt der Lebensgefährte. Am 16. Januar habe man dann auf Druck der Angehörigen eine Kernspintomographie gemacht – und festgestellt, dass Sylvia K. eine Thrombose im Gehirn hat, einen Hirninfarkt. Das Blutgerinnsel hätte, zu dem Schluss kommen zwei gerichtsmedizinische Gutachten, durch schnelles Handeln über eine systemische Fibrinolyse aufgelöst werden können. Möglicherweise so, dass die Patientin mit geringen oder ohne Folgeschäden davongekommen wäre. Keine StellungnahmeWeder das Klinikum noch das Bezirkskrankenhaus, beide wurden vom Kurier um Stellungnahme gebeten, wollen mit Verweis auf das laufende Verfahren Angaben machen. Das Klinikum hat jedoch erst vor wenigen Tagen von 100 erfolgreich behandelten Schlaganfallpatienten in der Stroke Unit berichtet. Wörtlich heißt es in der Mitteilung, die im Kurier veröffentlicht wurde: „Die systemische Fibrinolyse bietet bei der Behandlung eines Schlaganfalls die bestmöglichen Heilungschancen und reduziert Folgeschäden des Schlaganfalls deutlich. Allerdings sollte die Behandlung drei Stunden nach Symptombeginn einsetzen.“ Das Klinikum weist sogar explizit auf Symptome wie „kurzzeitige Sehstörungen, Sprach- oder Sprechstörungen, halbseitig auftretende Lähmungserscheinungen sowie Taubheitsgefühle an einer Körperhälfte (...)“ hin. Mit all diesen Folgen hat Sylvia K., die zum Pflegefall geworden ist, zu kämpfen: „Sie ist schnell überfordert, kann sich nicht lange konzentrieren, ihr Gang ist unsicher, rechts hat sie Lähmungen, das Gesichtsfeld ist stark eingeschränkt. Man kann sie nicht allein lassen“, sagt ihr Lebensgefährte. „Wir wollen, dass die Leute auf die Symptome achten, dass sie es wissen. Dass sie aufpassen, wenn ihren Angehörigen so etwas passiert“, sagt er.Der Bayreuther Oberstaatsanwalt Dr. Ernst Schmalz, der die Ermittlungen leitet, sagte gestern auf Kurier-Anfrage, dass sowohl im Klinikum als auch im Bezirkskrankenhaus Akten beschlagnahmt wurden, nachdem Andreas M. den Fall angezeigt hatte. „Es laufen Ermittlungen gegen einige Ärzte aus beiden Kliniken“, bestätigt Schmalz. Der Vorwurf: Körperverletzung durch Unterlassung.
Symbolbild: pa