Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung gewinnt mächtig an Profil „Du ließest mich erblüh’n“

Alexander Dick

BAYREUTH. Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung gewinnt mächtig an Profil.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

In Analogie zu Theodor W. Adornos Schluss, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei „barbarisch“, hätte man ebenso gut Inszenierungen der „Meistersinger“-Festwiese mit einem solchen Verdikt behaften können. Nun, Adorno hat sein Postulat später relativiert, und „Meistersinger“-Festwiesen sind vom Publikum, zumal von dem in Bayreuth, nicht als Barbarei empfunden worden. Bis zu Katharina Wagner.

Ihre Version des von den Nationalsozialisten als Parteitagsoper missbrauchten Stücks, zumal ihr provokanter Blick auf die deutschen Meister, hat seither zahlreichen Wagnerianern die Festwiese gründlich vermiest. Auch in diesem Jahr. Massiv donnern die Buhs dem Regieteam entgegen, und das ausgerechnet nach einem der beeindruckendsten Schlussbilder der „Meistersinger“-Auf führungsgeschichte: Zwischen zwei riesigen Klassikerdenkmälern erstarrt Hans Sachs in hartem, kontrastreichem Licht (Andreas Grüter) selbst zum Denkmal – der Rest ist ausgeblendet. Ein gespenstisches Bild – hier zergeht eine nationale Vision im unheilvollen historischen Kontext „in Dunst“. Ein mutiges Ende, zumal in Bayreuth, zumal von einer Wagner in Szene (Bühne: Tilo Steffens) gesetzt …

Kühner Entwurf

Aber nicht dafür gebührt der Regisseurin Lob, sondern für die gründliche Überarbeitung und – manchmal – Entrümpelung ihrer „Meistersinger“. Gerade der erste Aufzug ist weit stringenter geworden, konziser und logischer. Und, was die Interpretation anlangt, kühner. Denn Kühnheit auf der Bühne besteht nicht darin, ein paar Denkmäler einfach vom Sockel zu stürzen und sie pubertär mit Farbe um sich spritzen zu lassen – was leider noch oft genug geschieht. Kühnheit hat hier etwas mit radikaler Sicht auf die Personenkonstellationen zu tun, und da gelingt der Festspielleiterin ein höchst diskutabler Entwurf.

Hans Sachs und Eva, Eva und Ritter Stolzing – sie bilden so etwas wie eine, frei nach Dario Fo, „offene Dreierbeziehung“. Gleich nachdem sich der Vorhang öffnet sehen wir Evchen und Sachs in mehr als freundschaftlicher Zuneigung verbunden. Dieser Strang wird sich fortziehen. Im zweiten Aufzug flirtet Eva auffällig mit dem sichtlich dem Gefühlswirrwarr ausgelieferten Sachs, und die beste Konstellation gelingt Wagner in der vierten Szene des Schlussaufzuges zwischen den drei Handelnden. Da knistert es wie in einem modernen Dramulett, das ist allerbestes Regietheater, reich an Psychologie.

Man kann fragen, ob diese Interpretationsfreiheit noch irgendetwas mit Urgroßvaters Vorlage zu tun hat. Hat sie. Evas Rede an Sachs in dieser Szene hat verräterische Passagen – „du ließest mich erblüh’n“ – „du warest mein Gemahl“. Letzteres mag schwärmerischer Jungmädchen-Konjunktiv sein, aber die Idee von dem alten Tristan und der jüngeren Isolde zielt letztendlich auch auf einen größeren biografischen Kontext: Richard Wagner und die jüngeren Frauen – von Mathilde Wesendonck über Cosima Wagner bis zur 33 Jahre jüngeren Judith Gautier. Mit der Rolle des Sachs oder König Marke („Den unerforschlich tief / geheimnisvollen Grund / wer macht der Welt ihn kund?“) hatte der Meister Erfahrung …

Aber auch darüber hinaus hat diese „Meistersinger“-Inszenierung mehr Zug bekommen. Natürlich ist es auf den ersten Blick das Gegenteil von Richard Wagners Intention, wenn Katharina Wagner aus seinen „Meistersingern“ ein Lehrstück von der Rückkehr ins Bürgerliche und ins Angepasstsein macht. Aber auch hier sprechen Rezeption, Geschichte und Rezeptionsgeschichte nicht gegen diesen Ansatz, im Gegenteil. Und wenn man so will, kann man Walthers Preislied als Konzession an das Populäre begreifen.

Kontrapunktisch und harmonisch komplexer sind zweifelsohne Beckmessers Suaden. Dessen konträre Wandlung, vom Spießer zum leidenschaftlichen Bohèmien, hat etwas geradezu Lustvolles, Streitbares.

Es darf gelacht werden

Dass der Abend nach wie vor mit der Übertreibung kokettiert, dass manche Aktion zur Überaktion wird (Prügelfuge), ist angesichts dieser neuen „Meistersinger“-Stringenz zu vernachlässigen. Gelacht werden darf übrigens auch an mitunter ungewohnter Stelle. Angeblich konnte auch der Komponist an seinem Stück oft vor Lachen nicht weiterarbeiten ...

Die Sänger wahren, wo nötig, den Ernst. Sie transportieren die Inszenierung mit leidenschaftlicher Spielfreude voran – und mit zum Teil außerordentlichen vokalen Leistungen. Zum Beispiel Klaus Florian Vogt. Sein Walther von Stolzing setzt mittlerweile neue Maßstäbe für diese Partie, ob der Natürlichkeit, Leichtigkeit und spielerischen Note, mit der sein heller, immer noch sehr jugendlich-unverbrauchter Tenor gerade im Liedhaften dieser Musik reüssiert.

Ebenso Adrian Eröd. In seinem zweiten Beckmesser-Jahr ist er in dieser Rolle vollends angekommen, körperhaft und geschmeidig im Klang, beispielhaft in der Artikulation. James Rutherford ist der Neue. Sein Sachs hat sicher noch nicht die Nachhaltigkeit und auch das klangliche Differenzierungsvermögen, um bereits Bayreuth-Geschichte zu schreiben, aber da wittert man Potenzial. Und der warme Stimmklang und eine nicht zu kleine Tessitura lassen hoffen.

Etwas blass die Frauen. Michaela Kaunes Eva offeriert doch sehr viel Unausgewogenheit und wirkt im oberen Drittel eher grell. Und Carola Guber nimmt man die Magdalene gar nicht ab, abgesehen davon, dass ihre Textverständlichkeit gegen null tendiert.

Norbert Ernsts David wirkt trotz der Schwächen in der Tiefe ausdrucksstark und subtil in der Höhe. Artur Korns allzu matter Pogner fällt am Premierenabend ab, wohingegen Markus Eiche einen sehr überzeugenden Kothner abliefert. Die Meister und Lehrbuben agieren adäquat, Friedemann Röhligs Nachtwächter-Hausmeister wirkt ob der verordneten Aufgabe allerdings fast zu durchschlagskräftig.

Dass das Urteil über Sebastian Weigle auch im Jahr vier dieser „Meistersinger“ sehr zurückhaltend ausfällt, ist sicher schade. Aber nach dem überzeugend strukturierten, klangverliebt musizierten Vorspiel fallen doch die vielen kleinen und größeren Ungefährwerte in seinem Dirigat auf; auch bei den Chören, deren Klangpracht (Eberhard Friedrich) nicht immer exakt und konform mit dem Orchester gesteuert wird. Während der Prügelfuge beschleicht einen zwar das Gefühl, dass es nie auseinanderfallen wird, aber auch nie ganz exakt musiziert klingt. Das ist eine Form von Routine, die unter den Erwartungen an Festspiele liegt.

Was auch für den Orchestergraben gilt. Weigle steuert das Schiff Festspielorchester oft unorganisch; die Überleitungsmusik zur Festwiese klingt, als würde man ein Radio allzu heftig lauter drehen – da stimmen die Proportionen der Crescendi nicht ganz. Andererseits beschleicht einen das Gefühl, dass gerade diese Produktion solche musikalischen Brüche – gewollt oder ungewollt – braucht. Und wenn die Meister im ersten Aufzug ihren Aufnahmeritus in diesem Jahr erstmals mit einer Art Kommunion beginnen – als Hostie dient je eine Seite aus einem Reclam-Heftchen –, weiß man: Katharina Wagner werden die Buhs auch in Zukunft nicht erspart bleiben. Wie auch den Wagnerianern das Nachdenken über dieses Stück.

Bilder