Die größte Täuschung aber gelingt den Sängern. Wie in der Zeit der Uraufführung des Stücks im Rom des Jahres 1740 üblich, agieren auf der Bühne ausschließlich Männer. Die Premierenbesucher konnten hier ein Ensemble der wohl weltweit besten Countertenöre und Sopranisten erleben. Herausragend: Bruno de Sá in der Rolle der indischen Königin Cleofide. Wer die Augen schloss, glaubte die Stimme einer geschmeidig und lieblich singenden Frau zu hören. Beim Öffnen der Augen war das Staunen umso größer: Kostüm- und Maskenbildner hatten Großartiges geleistet, sodass die Travestie auf eine ganz selbstverständliche Art und Weise vollzogen wurde. Neben Bruno de Sá zählte Franco Fagioli als indischer König Poro zu den Stars des Abends. Begeistert gefeiert wurden auch Jake Arditti als Erissena, Maayan Licht als Alessandro, Stefan Sbonnik als Gandarte und Nicholas Tamagna als Timagene.
Eine Dirigentin
Wenn schon der historischen Aufführungspraxis entsprechend auf der Bühne ausschließlich Männer stehen durften, so setzte man zumindest im Orchestergraben einen gendertechnischen Kontrapunkt. Mit Martyna Pastuszka dirigierte dort eine Frau das Residenzorchester des Bayreuth Baroque Opera Festival 2022.
Nach der knapp fünfstündigen Aufführung gab es für alle Beteiligten viel Jubel vom Premierenpublikum. Zwei weitere Aufführungen im Markgräflichen Opernhaus stehen auf dem Spielplan von Bayreuth Baroque.
Auch beim sich anschließenden Empfang im Sonnentempel der Eremitage mit Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert waren ausschließlich begeisterte Kommentare der Opernbesucher zu hören. Die ganz große Prominenz aus München war allerdings nicht zu diesem Premierenabend nach Bayreuth gekommen.