Bankbetrüger Das System des Stefan L.

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Brigitte Wehrfritz fühlt sich als Opfer von Stefan L. In ihrem Buch „In der Bank, da sind die Räuber“ geht es um den schlechten Umgang von Banken mit ihr. Foto: Justine Müller Foto: red

EMTMANNSBERG/BAYREUTH. Im Januar 2019 fuhr Stefan L. (51) mit fast einer Million Euro im Kofferraum von Nürnberg nach Emtmannsberg, wo er in der Raiffeisenbank Vorstand war. Zur gleichen Zeit schrieb Brigitte Wehrfritz (72) in Bayreuth ihr Buch „In der Bank, da sind die Räuber“. Und die Wirtschaftsprüfer der Raiffeisenbank hatten schon seit Monaten ein „schlechtes Gefühl in der Magengegend“.

 
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„Mit dem stimmt was nicht.“ Die Autorin war mit ihrem Betrieb Kunde der Bank, L. ihr Ansprechpartner. Sie wunderte sich oft über zu hohe oder falsch abgebuchte Zinsen und wartete lange auf Geld ihrer Versicherung. Sie fühlte sich von L. betrogen. Damals glaubte ihr keiner. Seitdem schreibt sie ein Buch darüber, wie schlecht Banken sie behandelt haben. L. hat, als man ihn erwischt hat, beim Notar ein Schuldbekenntnis unterschrieben: Er hat die Bank um mehr als zwei Millionen Euro betrogen. 18 Jahre lang.

Von Bremen nach Bayreuth und Emtmannsberg

Seine Lehre machte er in einer Bremer Bank. Im dortigen System ist sein Name allerdings nicht zu finden. Dann studiert er in Bayreuth Jura, einen Abschluss macht er nicht. Angeblich, weil er zu viel arbeitete nebenher. Das habe ihn „total traurig“ gemacht, sagt jemand, der ihn von damals kennt. Er jobbte erst bei einer anderen Bank, auch dort soll es 1999 zu Problemen bei mindestens einem Scheck gekommen sein. Zur Raiffeisenbank Emtmannsberg kam L. 2000 als Aushilfe. Damals waren dort nur fünf Beschäftigte. Prompt fällt er mit Wertpapiergeschäften auf. L. hatte für sich, nicht für Kunden, morgens Aktien gekauft und am gleichen Tag wieder verkauft. Normalerweise Alarmstufe Rot bei Bankern. Denn das machen oft Zocker.

2002: Aufstieg in den Vorstand

Doch das kam erst 2001 raus, als er schon für den Vorstand vorgesehen war. Die Bank hatte ihn zu dem dafür nötigen Seminar angemeldet. Aber morgens trat der Aufsichtsrat zusammen und meldete L. wieder ab. Außergewöhnlich, wie ein Zeuge erzählt, denn die Sitzungen seien nur abends gewesen. Erst Monate später sei L. zum Seminar wieder angemeldet worden. 2002 stieg er trotzdem in den Vorstand auf – eine kleine Karriere. L. sei auch sehr fleißig gewesen, sagt ein ehemaliger Kollege. Er habe auch immer andere mit Arbeit eingedeckt. Er sei aber auch „angeberisch“ gewesen. Und teils „hektisch“ und „chaotisch“.

Immer wieder Anzeichen

2010 gab es einen nächsten Hinweis, den gleichen gab es 2011 – und wieder 2012. Quasi drei Gelbe Karten für das Vorstandsmitglied L.: Probleme bei Versicherungen, und dies schon im dritten Jahr. Folgen für L. hatte es keine. Im Gegenteil. 2011 bis 2012 kauft Vorstand L. wieder Aktien für sich – und verliert innerhalb kurzer Zeit etwa 50 000 Euro. Das zeigen Belege, die dem Kurier aus unterschiedlichen Quellen zugespielt wurden. Das ist die Zeit, in der auch Brigitte Wehrfritz mit L. zu tun hat. Sie berichtet von großem „Druck“, den L. auf sie ausgeübt habe. Und sie attestiert ihm ein „Napoleon-Syndrom“.

Bafin droht mit Zwangsgeld

Nach Informationen des Kuriers hat die Bankenaufsicht Bafin L. 2013 ein Zwangsgeld angedroht. Auskunft zu einzelnen Personen erteile man nicht, so ein Sprecher der Bafin. Aber Zwangsgeld werde angedroht, wenn jemand seine Pflicht nicht erfülle. Unter den Kollegen „gab es nie Anlass, an etwas zu zweifeln“, sagt einer. L. sei „gewinnend“ gewesen, aber auch „manipulativ“. „Tag und Nacht“ sei er in der Bank gewesen, habe „viele Kunden gebracht“ . Und er habe „die Bank ausgebaut“. Nicht auch zerstört? „Ja.“ Aber „erst später“ sei er „ausgerastet“.

Das schlechte Gefühl in der Bauchgegend

„Stutzig“ geworden seien die Prüfer erst 2018, sagt ein Beteiligter. Und zwar aufgrund einer Anzeige eines Mitarbeiters, dessen „ganzes Leben die Geschichte verändert“ habe. Ihm waren L.s Unregelmäßigkeiten bei der Kassenführung aufgefallen. Und so standen im Sommer 2018 zum ersten Mal unangekündigt die Wirtschaftsprüfer vor der Tür. In Emtmannsberg erzählt man sich, dass einer der Prüfer L. allein vor dem offenen Tresor erwischt habe, wo zwei Bank-Mitarbeiter gleichzeitig sein müssten. Aber die Kasse stimmte. Doch das „schlechte Gefühl in der Bauchgegend“ verließ die Prüfer nicht. Und so wurde die Fahrt zur Bundesbank an jenem 28. Januar L.s letzte zum Abheben. An dem Tag waren auch die Prüfer wieder da.

Nötige Unterschriften werden gefälscht

Jede Bank hat bei der Bundesbank ein Konto, auf dem viel Geld ein- und ausgeht, auch in bar. Deshalb schöpfte der Bundesbank-Mitarbeiter keinen Verdacht, als L. die Million ins Auto trug und sie 92 Kilometer nach Emtmannsberg fuhr. „Ein normaler Vorgang“, sagt ein Sprecher der Bundesbank, auch wenn er eher eine Werttransportfirma erwartet hätte als nur den Vorstand einer Bank. Das Problem war: Keiner in der Bank wusste davon. Und L. war oft in Nürnberg und kam mit großen Summen wieder. Er brauchte außer seiner eine weitere Unterschrift. Die hat er gefälscht, das hat er zugegeben, bestätigt ein am Verfahren Beteiligter.

Konten werden am Jahresende "glattgezogen"

L. brauchte das Bargeld für sein Schneeballsystem: Er fälschte Überweisungen, machte Luft-Buchungen, wo nur der Betrag auf dem Formular stand. Etwa für eine Immobilie in bester Lage in Bayreuth. Oder er betrog bei Versicherungen, hob sie nach der Auszahlung heimlich vom Bundesbankkonto in bar ab. Und er soll hohe Summen verzockt haben. Irgendwann hätten die Prüfer gemerkt, dass Geld fehlt. Also zahlte er es teils in bar ein und holte dafür die Scheine aus Nürnberg. So waren immer am Jahresende die Konten „glattgezogen“, wie Insider sagen. Hat er immer die zweite dafür nötige Unterschrift gefälscht? Ein am Verfahren Beteiligter vermutet „Gefälligkeits“-Unterschriften.

Prüfer erwischt L. alleine vor dem Tresor

Am längsten hat L. sich aber am Geldautomaten bedient, was die Staatsanwaltschaft bestätigt hat. Mit den Scheinen aus Nürnberg füllte er den Automaten, machte ihn aber nicht voll. Den Rest, die großen Scheine, behielt er für sein Schneeballsystem. Deshalb spuckte der Automat in Emtmannsberg auffällig oft nur kleine Scheine aus. Erwischt wurde L. nicht, denn den Automaten füllte er meist alleine. Am Computer gab er einfach falsche Summen ein. Das bestätigen am Verfahren Beteiligte. L. selbst nannte den Namen eines Bayreuther Geschäftsmannes, der ihm dabei geholfen haben soll. Fest steht, dass L. sich über sechs von ihm installierte Kameras immer sicher sein konnte, wer gerade in und vor der Bank war. So agierte er sicher.

Nicht nachgereichte Dokumente bringen L. zu Fall

Gestolpert ist L. über einen Fehler, den man öfter bemängelt hatte: Ungereimtheiten bei Versicherungsanlagen. Nach Informationen des Kuriers sollte er Dokumente nachreichen, was er wiederholt nicht tat. Und so standen im Juni wieder die Wirtschaftsprüfer vor der Tür, als ob sie auf diesen Fehler gewartet hätten, um diesmal genauer hinzuschauen. Aber L. war abgetaucht, sein Facebook-Profil abgeschaltet, er baute einen Unfall und war kurz darauf in U-Haft. Brigitte Wehrfritz hat inzwischen ihr Buch fertig. Stefan L. widmet sie ein ganzes Kapitel.

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