Außenhandel Wenn nachts der Brexit kommt

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Symbolfoto: dpa Quelle: Unbekannt

BAYREUTH. Das Gespenst trägt einen Namen: harter Brexit. Und an Halloween könnte er bedrohlich in Erscheinung treten und alle Horrorszenarien wahr werden lassen. Vieles deutet daraufhin, dass die Briten am 31. Oktober die EU ohne Abkommen verlassen werden. Auch stark exportorientierte Unternehmen in Oberfranken zittern der Spukvorstellung entgegen.

 
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Einer Inszenierung, an dem für den Freihandel mit Großbritannien der letzte Vorhang fällt, der zollfreie Warenverkehr - die große Errungenschaft des EU-Binnenmarktes - über Nacht zur Geschichte wird. Doch wie ändern sich die Handelsbeziehungen konkret? Ein Überblick.

Was kann am 31. Oktober passieren? 

Weiterhin sind drei Szenarien offen: ein Brexit ohne Deal, ein Austritt mit Abkommen - oder auch gar kein Brexit. „No Deal“ würde auf eine ungeregelte, möglicherweise chaotische Phase hinauslaufen. „Deal“ würde einen Austritt mit einer Übergangsphase bis Ende 2020 bedeuten. Und beim „No Brexit“ würde zunächst alles beim Alten bleiben. 

Warum ist das Szenario „No Deal“ so bedrohlich? 

Großbritannien gibt von einem Tag auf den anderen seinen Platz in der Zollunion der Europäischen Gemeinschaft auf. Für den Warenverkehr gelten dann die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und damit eine Vielzahl an Import- und Exportzöllen. Großbritannien hat 2018 ein Zollgesetz verabschiedet, das bei einem „No Deal“ am folgenden Tag, also am 1. November, sofort in Kraft treten würde. 

Was sieht dieser britische Zolltarif vor? 

Er soll nach dem Brexit für die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten, also auch aus der EU, in das Vereinigte Königreich gelten. Dieser Zolltarif orientiert sich weitgehend am EU-Zolltarif und liegt im Schnitt bei fünf Prozent. Doch es gibt auch höhere Tarife: Die EU erhebt aktuell einen Zoll von zehn Prozent auf Autos aus Drittländern - und diese Höhe sieht im Moment auch der veröffentlichte britische Zolltarif vor. Maschinenbauer kommen glimpflicher davon: Hier bewegen sich die Zölle dann bei bis zu vier Prozent.  

Welche Grundlage haben diese Zölle? 

Das britische Zollgesetz, das bei einem Brexit ohne Abkommen sofort in Kraft tritt, basiert auf dem sogenannten UZK, dem Zollgesetz der Europäischen Union. Im Moment ist jedoch noch nicht abzusehen, welche weiteren Vorschriften Großbritannien erlassen könnte. Klar ist: Nach dem Austritt Großbritanniens ist der innereuropäische Freihandel mit dem Land Vergangenheit und Lieferungen dorthin gelten als Warenausfuhren in ein „Drittland“; analog dazu gelten Lieferungen aus dem Vereinigten Königreich als Wareneinfuhren. Auch die von der EU geschlossenen Freihandelsabkommen mit anderen Drittstaaten gelten nach dem Brexit für Großbritannien nicht mehr. 

Welche weiteren Vorschriften treten in Kraft? 

Neben dem Zollkodex müssen Unternehmen beispielsweise die EU-Embargo-Verordnung und die EU-Dual-Use-Verordnung beachten. Letztere bedeutet: Güter mit einem doppelten Verwendungszweck, die zivil, aber auch militärisch genutzt werden können, unterliegen Kontrollen. Die Folge eines Endes des Freihandels mit Großbritannien und eines ungeregelten Brexits wäre, dass für jede Ausfuhr solcher Waren von der EU nach Großbritannien Einzelausfuhrgenehmigungen beantragt werden müssen. 

Was bedeuten die Zollabgaben und die Exportkontrollen fürdie deutschen Unternehmen? 

Die damit verbundenen Formalitäten beanspruchen Zeit und Ressourcen, um die Warenlieferungen nach Großbritannien fristgerecht und ordnungsgemäß anzumelden. Der deutsche Industrie- und Handelskammertag geht von bis zu zehn Millionen zusätzlicher Zollanmeldungen aus. Außerdem würde - neben den Zöllen im Volumen von mehreren Milliarden Euro - auch die Zollbürokratie mit rund 200 Millionen Euro zu Buche schlagen.  Waren, die von deutschen Unternehmen in eigenen Werken in Großbritannien produziert werden und in die EU eingeführt werden sollen, haben künftig den gleichen Status wie beispielsweise Importe aus China. Jede Warensendung muss verzollt werden, Vergünstigungen gemäß dem Freihandel in der EU werden nicht mehr gewährt. 

Führen die Zollformalitäten zu längeren Lieferzeiten? 

Der Brexit hat natürlich durch die Zollabfertigung Grenzkontrollen zu Folge, dass sich Warentransporte verlangsamen und verteuern. Ein Risiko besteht dann vor allem für Just-in-time-Lieferungen, wie sie beispielsweise in der Automobilindustrie üblich sind.

Welche Einschränkungen drohen Firmen, die bei der Produktion ihrer Waren in Deutschland britische Vormaterialien einsetzen? 

Regelungen innerhalb der EU, die eine Zollbefreiung vorsehen, sind natürlich auch in diesem Fall für Großbritannien nicht mehr anwendbar. Der innerbetriebliche Aufwand in den Unternehmen für den Bezug britischer Vorgüter dürfte sich erheblich erhöhen, was deren Einsatz unattraktiv machen könnte. 

Wie wird sich der Brexit auf bislang gemeinsame EU-Standards auswirken? 

Das bekannte CE-Kennzeichen, das erlaubt, Waren in der EU in Verkehr zu bringen, wird vorübergehend noch anerkannt. Wenn Großbritannien die EU verlässt, wird langfristig die neue Produktkennzeichnung UKCA eingeführt. Das erfordert dann auch eine komplett neue Produktzulassung. Für Unternehmen, die Waren nach Großbritannien exportieren wollen, steigt der Aufwand spürbar. 

Welche Schaden hat der Brexit bereits jetzt verursacht? 

2016 war Großbritannien für bayerische Unternehmen der drittgrößte Exportmarkt. Das Ausfuhrvolumen hat sich schon erheblich reduziert: von 8,2 auf 6,7 Prozent (2018) der Exporte aus Bayern. Dieser negative Trend hat sich im ersten Halbjahr 2019 fortgesetzt. Im Moment liegt das Vereinigte Königreich hinter Frankreich und Österreich nur noch auf Rang fünf der bedeutendsten Auslandsmärkte. Sämtliche Studien zum Brexit sagen, das die Auswirkungen eines „harten“ beziehungsweise ungeregelten Austritts gravierender sein werden als bei einem „weichen“ Brexit auf Basis eines Abkommens zwischen der EU und Großbritannien. 
    
Quellen: IHK, VBW, Zoll, BAFA,  Europäische Kommission, WTO Schedule 


IHKs informieren: Was tun beim „No Deal Brexit“? Die beiden oberfränkischen Industrie- und Handelskammern (IHK) beraten ihre Mitgliedsunternehmen. In beiden Kammern in Bayreuth und Coburg steht jeweils der Bereich International für Auskünfte zum Brexit bereit.

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