Architektur-Serie Die Geschichte der Schokofabrik - beliebter Platz für Künstler und Skater

Von Anne Müller

Gegenüber vom Bahnhof St. Georgen steht ein Backsteingebäude aus dem letzten Jahrhundert, das seine alten Formen noch behalten hat und heute die Heimat von Skatern und Künstlern ist: die „Zuckerwaren und Colonialwaren-Großhandlung“ von Hugo Müller, oder kurz: die Schokofabrik. Für unsere Architektur-Serie nehmen wir das Gebäude unter die Lupe.

 
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Als Carmen Cremades zum ersten Mal die Skatehalle in der Schokofabrik von innen sah, war sie sprachlos. „Aber positiv schockiert! Ich fand es unglaublich toll, was die Leute hier miteinander auf die Beine gestellt haben!“ Die Leute, das sind die Vereinsmitglieder von „Schoko e.V.“, die die alte Süßwarenfabrik zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Seit Juni 2013 findet regelmäßig Skateboardsport in der Halle statt, und die zahlreichen Angebote für Kunst und Kultur finden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kooperationspartnern statt, allen voran die Stadt Bayreuth.

Das Gebäude der Schoko stammt aus den Jahren 1909/1910 und war das erste wirklich große Geschäftsgebäude am Bahnhof St. Georgen. Interessanterweise waren die Besitzer der Nachbargrundstücke, die mit ihrer Unterschrift ihr Einverständnis zum geplanten Bau gaben, auch „Ökonomen“. Das Gebäude selbst darf als die Keimzelle für das Industriegebiet St. Georgen bezeichnet werden.

Das Äußere des Fabrikbaus ist nahezu im Original erhalten, und die Bauweise mit den Rundbogenelementen hat einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Vor dem Haupteingang sind noch Fragmente der Bahngleise zu sehen, die früher bis ins Erdgeschoss reichten. Dem Fabrikbesitzer Hugo Müller kam dieser direkte Anschluss an den Bahnhof St. Georgen natürlich sehr gelegen, sparte er sich doch damit lange Transportwege seiner süßen Fracht.

Schokofabrik blieb fast 20 Jahre geschlossen

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Süßwarenfabrik für verschiedene gewerbliche Zwecke genutzt, und ab den frühen 1990er Jahren stand sie offiziell leer. 2009 musste sie wegen baulicher Mängel geschlossen werden. Die skatebegeisterten Jugendlichen wichen für die Zeit, in der der Verein Horizonte grundlegende Sanierungsarbeiten durchführte, in die Panzerhalle aus, bis sich der Verein „Schoko“, der 2010 gegründet wurde, wieder um das Gebäude kümmern konnte. Die Mitglieder haben in einer ausdauernden und sehr beachtlichen Aktion die Indoor-Skatehalle wieder befahrbar und die übrigen Räume für Veranstaltungen nutzbar gemacht. Einiges an Material stammt aus Spenden, beispielsweise das Holz für die Lines. Der eigentliche Arbeitsaufwand aber zeigt sich vor allem in den geschätzt etwa 3000 Stunden freiwilliger Arbeit der etwa 50 Vereinsmitglieder in der Einbauphase. Nutzbar ist im Moment nur das Erdgeschoss der Fabrik, da das Obergeschoss laut einem Statikgutachten gesperrt ist.

Valentin Weintritt, ein Großteil seiner Freunde und Bekannten und eine Vielzahl Bayreuther jeden Alters engagieren sich alle miteinander im Verein „Schoko“, und obwohl es zugegebenermaßen „ein Haufen Arbeit war – das Ergebnis ist wirklich klasse. Wenn ich daran denke, dass hier früher alles kniehoch zugemüllt war und wir uns eine Line freischaufeln mussten, dann ist das hier ein Unterschied wie Tag und Nacht.“ Carmen Cremades stammt aus Spanien, ist beim Verein „Schoko“ angestellt, kümmert sich hauptsächlich um die benachbarte Spielanlage Schanz und gelangte über das Erasmusprogramm im Zuge ihres Kunst- und Design-Studiums nach Bayreuth. „Ich finde, dieser Industrie-Look hat Charme, er passt einfach super zu dem, was hier drin stattfindet. Und was mich immer wieder sehr beeindruckt, ist die Leidenschaft für die Schoko, die uns alle eint.“

Wo früher vermutlich das Lager für die süßen Materialien war, steht heute der Indoor-Skatepark aus Holz. Die Säulen im Innenbereich sind gut gepolstert, und die Holzelemente haben teilweise einen Umzug von der Schoko in die Panzerhalle und zurück in die Schoko hinter sich. Die angrenzenden Räume werden nun als Konzertraum und Café genutzt; in naher Zukunft soll die Schoko-Galerie eine Ausstellung beherbergen. „Die Galerie ist sozusagen zweigeteilt“, erklärt Carmen Cremades. „Auf der einen Seite können Künstler ihre Arbeiten ausstellen, und auf der anderen Seite wollen wir die Poster und Fotos von den Veranstaltungen in der Schoko aufhängen. Das wird dann die Schoko-Chronik!“


Aus der Bauakte der Schokofabrik

Der Fürther Architekt Adam Egerer (1859-1936) entwarf und baute im Laufe seiner Karriere bevorzugt große Geschäftsgebäude in Franken. Sein Stil bewegte sich zwischen Neoklassizismus und gemäßigtem Jugendstil; er ist vor allem für Bauten des Historismus und des Jugendstils bekannt, die das Fürther Stadtbild bis heute prägen. Modernen technischen Konstruktionen gegenüber war er sehr aufgeschlossen.

1909/10 erbaute Egerer für den Bauherrn und Fabrikinhaber Hugo Müller die „Zuckerwaren und Colonialwaren-Großhandlung“ an der „Haltestelle St. Georgen“. Müller hatte seit Mai 1910 auch eine Wohnung an der Westseite des Fabrikgebäudes. Die ursprünglichen Zutaten für den typischen Egerer-Baustil, also beispielsweise die Jugendstil-Vignette in dem flachen Giebel, fehlen leider inzwischen.

Vom Konstrukt her ist die Schokofabrik ein Betonskelett mit Stützen und Unterzügen auf quadratischem Raster. Das Flachdach der Fabrik bestand aus Zementplatten mit Korkisolierung; das Quadratraster ist auch an den Fassaden in Form der betonten durchgehenden Ziegelpfeiler noch gut erkennbar.

Im Erdgeschoss befand sich das große Lager mit Gleisanschluss und Lastenaufzug, eine Fettkocherei, eine Kaffeerösterei und ein Lokomobilen-Raum. Das Obergeschoss war mittig unterteilt in Bäckerei und Bonbonkocherei. Die Bauausführung für die Süßwarenfabrik hatte die Regensburger Firma Alfons Custodis.

Die Ausstattung war für die damalige Zeit sehr modern und entsprach damit ganz dem Stil Egerers. Es gab selbstschließende Brandschutztüren, Dunstabzüge in den Kochereien, Waschräume für die Mitarbeiter und Aufwärmmöglichkeiten für mitgebrachtes Essen.

Die Fabrik war damals der erste Industriebau direkt am Bahnhof St. Georgen und damit auch eine Keimzelle für das spätere Industriegebiet.

Quelle: Dr. Sylvia Habermann, Leiterin des Historischen Museums Bayreuth.

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