Im Raum Bayreuth Der Pflege-Kollaps ist da

Peter Rauscher
Leerer Flur im Pflegeheim: Kurzfristig einen Pflegeplatz oder ambulante Versorgung im Raum Bayreuth zu erhalten, ist kaum noch möglich. Foto: dpa-Archiv/Paul Zinken

In Bayreuth und der Region ist praktisch keine Pflege im Heim oder zuhause mehr zu bekommen. „Das System kollabiert gerade“, sagt Andreas Berghammer, Leiter des Sozialdienstes am Klinikum. Mit einem dringenden Hilfe-Appell wendet er sich an die Angehörigen von Patienten.

 
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Der Pflegenotstand hat die Region jetzt voll erwischt. Darin sind sich Berghammer, Ulrich Bertelshofer, Leiter des Hospitalstifts und Marianne Zapf, Chefin des ambulanten Pflegedienstes „Schwestern mit Herz“ einig. Ihre Botschaft, die sie am bundesweiten Probe-Warntag über den Kurier verbreiten wollen, ist bitterernst: „Wir stehen am Abgrund“.

Verlegung bis nach Plauen

Berghammer sagt, der Sozialdienst des Klinikums könne eine gute zeit- und ortsnahe pflegerische Versorgung von entlassenen Patienten nicht mehr sicherstellen. „Wir suchen pro Woche im Schnitt 40 Pflegeplätze für Patienten, die zuhause noch pflegerische Versorgung benötigen, und finden keine mehr.“ Mittlerweile würden Klinikums-Patienten in einem Radius von 80 Kilometern verlegt – bis nach Plauen. Die fatale Folge: Gerade betagte Angehörige könnten ihre Lieben oft nicht mehr in einem weit weg gelegenen Heim besuchen.

Mitarbeiter sind verzweifelt

Angehörige, die ihre hohen Erwartungen enttäuscht sehen, überschütten den Sozialdienst mit massiven Vorwürfen, sagt Berghammer. So etwas habe er in seinen 37 Jahren im Sozialdienst noch nicht erlebt. „Meine Mitarbeiter sind verzweifelt und psychisch überlastet.“ Aber sie könnten nichts dafür, dass weit und breit keine Pflegeplätze frei sind. Das Problem bestehe seit Monaten, die Pleite des Bindlacher Heims, durch die weitere Plätze wegfallen, sei da nur noch das Tüpfelchen aufs „i“.

Ein Teufelskreis

Berghammer beobachtet einen Teufelskreis: Ärzte wiesen Patienten in die Notaufnahme des Klinikums ein, weil ihre Versorgung zuhause nicht sichergestellt ist. Dort werden die Menschen behandelt, können aber nicht hierbleiben, weil sie den akut Kranken sonst Plätze wegnehmen. Sie müssen also wieder nach Hause oder ins Heim – doch dort hat sich die Lage nicht verbessert. 40 Prozent der entlassenen Patienten aus Neurologie und Geriatrie kämen binnen weniger als 30 Tagen erneut zurück ins Krankenhaus, zitiert er eine Statistik.

Von Anfragen überrollt

Wie dramatisch die Situation ist, zeigt auch das Beispiel Hospitalstift. Seit etwa einem Vierteljahr werde er mit kurzfristigen Anfragen nach Pflegeplätzen überrollt, sagt Leiter Ulrich Bertelshofer. „50 bis 70 Anfragen kommen in der Woche, das hatten wir noch nie.“ Selbst am Wochenende und sogar auf sein privates Handy erreichen ihn Anfragen. Aber die städtische Einrichtung mit 118 Plätzen ist voll. Frei wird ein Bett nur, wenn ein Bewohner stirbt. Mitunter muss der Hausmeister dann bis nachts ein freigewordenes Zimmer streichen, nur damit eine der vielen ganz dringenden Fälle so schnell wie möglich aufgenommen werden kann. „Früher haben wir um Bewohner geworben, jetzt müssen wir nach Dringlichkeit priorisieren. Wir sind absolut am Limit“. Auch BRK-Einrichtungsleiter Richard Knorr sagt auf Nachfrage: Pflegeplätze sind beim BRK keine frei.

Ambulanter Dienst muss alles ablehnen

Prioritäten setzen muss auch Marianne Zapf mit ihrem ambulanten Pflegedienst, deren 18 Mitarbeiter ebenfalls voll ausgelastet sind. „Zwölf Anfragen von Ärzten, Kliniken, Patienten und Angehörigen kommen jeden Tag, die wir alle ablehnen müssen“, sagt sie. Weil nun die Awo-Sozialstation schließt und ihre Pflegeverträge gekündigt hat, musste sie wegen der Dringlichkeit der Versorgung der Patienten selber einspringen und eine Nottour bewältigen. „Das ist eigentlich nicht mehr machbar“, sagt sie.

Personalmangel ist schuld

Über die Ursache der Misere sind sich alle drei einig. Es liegt nicht an zu wenig Pflegebetten, sondern an zu wenig Pflegepersonal bei demografisch bedingt immer mehr Pflegebedürftigen. Die Zahl der vollstationären Pflegeplätze in der Stadt stieg nach Angaben des Seniorenamtes zwar in den vergangenen fünf Jahren von rund 930 auf über 1300. Wegen Personalmangels könnten aber nicht alle Betten auch belegt werden, sagt Berghammer. Auch die Awo hatte als Grund für die Schließung ihres Pflegedienstes Personalmangel angegeben. In einer Kurier-Umfrage hatten mehrere große Träger die dramatische Personalnot kürzlich für sich bestätigt.

Angehörige sollen Pflege übernehmen

Man versuche sich über seine Netzwerke gegenseitig zu helfen so gut es eben geht, sagt Berghammer. „Aber kurzfristig sehe ich keine Lösung.“ Was ihm ein Anliegen ist: Er wirbt um Verständnis bei Angehörigen und Patienten für seine Mitarbeiter, die ihr Möglichstes täten. Und er appelliert an die Angehörigen: Sie sollten sich überlegen, ob sie nicht selbst die Initiative ergreifen und zum Beispiel die Möglichkeit nutzen könnten, sich beruflich für die Pflege ihrer Lieben freistellen zu lassen. „Die familiäre Eigeninitiative muss wieder einen höheren Stellenwert bekommen.“ Langfristig aber könne nur eines helfen: Mehr Menschen für den Pflegeberuf gewinnen.

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