Analyse Klimabericht als Weckruf für Verbraucher und Politik

Alleebäume bilden den einzigen grünen Farbtupfer zwischen trockenen, abgeernteten Feldern in Sachsen. Foto: Jan Woitas Foto: dpa

Die Klimaforscher befeuern mit einem neuen Bericht die Debatte über Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Sie richten umfassend wie nie ihren Blick auf die Land- und Forstwirtschaft. Da ist viel zu holen.

 
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Genf - Weniger Fleisch essen, bewusster einkaufen und nur wegwerfen, was auch wirklich weg muss: Wer künftig nicht unter noch mehr Hitze-Stress stöhnen will, kann mit klimafreundlichen Verhaltensänderungen im Alltag viel bewirken.

"Mit anderer Ernährung könnten bis 2050 Millionen von Quadratkilometern Landfläche frei werden", schreibt der Weltklimarat IPCC in seinem neusten Bericht. Die Belastung der Atmosphäre mit Kohlendioxid aus der Landwirtschaft würde das deutlich mindern. "Und gesünder wären weniger tierische Produkte obendrein", sagt Mitautor Alexander Popp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ergänzt: "Wir haben einen Überkonsum an Kalorien."

Eine wichtige Stellschraube wäre auch weniger Abfall auf dem Feld, beim Transport - und nicht zuletzt in der Küche. Aktuell gehen laut IPCC weltweit 25 bis 30 Prozent der produzierten Lebensmittel verloren. In deutschen Haushalten wird laut Umweltbundesamt jedes achte Lebensmittel weggeworfen. Pro Person seien das zwei vollgepackte Einkaufswagen mit einem Warenwert von 234 Euro: etwa 82 Kilogramm. Hinzu kommen noch Verluste in Produktion und Handel.

Deutlich wie bisher kaum ein anderes Papier haben in dem Report 107 Wissenschaftler nach der Auswertung von mehr als 7000 Studien die Rolle der Land- und Forstwirtschaft beim Klimawandel betont. Fast ein Viertel aller vom Menschen verursachten Treibhausgase, die den Planeten mehr und mehr aufheizen, stammt laut IPCC aus der Bestellung des Bodens. Der umsichtige Umgang mit Mutter Erde sei daher oberstes Gebot. "Alle Akteure müssen zusammenspielen", sagt die Klimaforscherin Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie. Sie appelliert an die Verbraucher, beim Kauf von Textilien darüber nachzudenken, welche Kleidung wirklich gebraucht werde.

Die Forscher aus 52 Ländern, auch aus den USA, fordern, die Wälder und Moore zu schützen, Aufforstungen voranzutreiben, die Landwirtschaft auf klimaschonende Methoden umzustellen. "Der Weltklimarat ruft die Alarmstufe Rot für unsere Landnutzung aus", meint Leif Miller vom Naturschutzbund Deutschland in einer Reaktion. Nicht nur der weltweite Öl-, Gas- und Kohleverbrauch heize das Klima an, sondern auch die viel zu intensive Nutzung der Landflächen.

Eine besondere Form der Landnutzung wären gewaltige Bionenergie-Flächen. In ein paar Jahrzehnten könnten schnellwachsende Eukalyptus- und Pappel-Plantagen nötig sein, um das CO2 aus der Luft zu absorbieren. "Wir reden dabei über 500 Millionen Hektar", sagt Popp. Das ist rund die Hälfte der Fläche der USA. Angesichts der absehbaren Konflikte um solche Projekte wäre es viel besser, die Emission von Treibhausgasen vorher in den Griff zu kriegen, so Popp.

Der Sonderbericht des IPCC macht nach Meinung von Livia Rasche vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg die regionalen Unterschiede bei den Folgen deutlich. "In einigen Regionen erlebt die Vegetation einen Aufschwung durch längere Vegetationsperioden und Stickstoffdüngung aus der Atmosphäre, in anderen wird es trockener und die Vegetation geht zurück."

Aus ihrer Sicht überraschend sei die Entwicklung der Vegetation. "Eine größere Fläche wird grüner als brauner." Noch werde dadurch mehr Kohlenstoff auf Landflächen gebunden als durch Abholzung und Rodung freigesetzt werde, sagte Rasche. Diese Entwicklung werde allerdings angesichts des Trends zur klimaschädlichen Landnutzung wie der Zerstörung von Wäldern und Mooren nicht anhalten. So hat sich nach jüngsten Erkenntnissen die Abholzung des tropischen Regenwalds in Brasilien noch beschleunigt. "Es gibt Regionen die künftig profitieren werden, aber wenn man es global anschaut, ist die Bilanz desaströs", sagte Hans-Jörg Vogel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

Wie viel Zeit bleibt noch, um das Ziel das Pariser Klimaschutzabkommens, die Erwärmung bei deutlich unter zwei oder gar bei 1,5 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Werten zu bremsen? Die IPCC-Wissenschaftler nennen keine konkrete Zahl, machen aber mit ihrem Bericht mächtig Druck. Der IPCC-Bericht wolle nicht nur die Politiker aufrütteln, sondern auch direkt die öffentliche Meinung beeinflussen, sagt Mitautor Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Die Temperaturspitzen dieses Sommers werden uns als gering und harmlos erscheinen", so Pörtner mit Blick auf eine sich weiter erwärmende Welt.

Die deutliche Erwärmung der Landregionen sorgt den Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. "Das zeigt, dass schleunigst gehandelt werden muss, um etwa unabsehbare Folgen für die Welternährung abzuwenden." Selbst bei der Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit würden Temperaturen über 40 Grad in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten immer wahrscheinlicher, so Latif.

"Ohne Verzicht wird es nicht gehen", ist Klimaforscherin Arneth überzeugt. "Was man gewinnt, ist aber mehr wert, als das, was man verliert."

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