Die Ausschreitungen in Hongkong vermasseln Präsident Xi Jinping die Geburtstagsparty. Zum 70. Gründungstag der Volksrepublik kämpft er an mehreren Fronten - und zeigt den USA die militärische Stärke seines Riesenreichs.
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Doch hängt beides eng zusammen: Mit der Demonstration militärischer Stärke schickt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping auch eine Warnung an die Hongkonger Demokratiebewegung, es nicht zu weit zu treiben. Trotzdem oder gerade deswegen verderben die Demonstranten in der chinesischen Sonderverwaltungsregion der kommunistischen Führung die Geburtstagsparty in Peking.
Aktivisten blockieren Straßen, werfen Brandsätze, liefern sich Straßenschlachten mit Polizeikräften, die mit Tränengas und Wasserwerfern reagieren. Es herrscht Chaos auf den Straßen der früheren britischen Kronkolonie. Polizisten geben Warnschüsse ab - ein Demonstrant wird getroffen und verletzt. "Die Macht kommt aus den Gewehrläufen", hatte schon der Revolutionär Mao Tsetung gesagt, der am 1. Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik ausgerufen hatte.
An dessen Erbe knüpft Xi Jinping an. Er hat zusätzlich Truppen nach Hongkong und an die Grenze geschickt. "Genossen, wie geht es Euch?", ruft der Oberkommandierende im schwarzen Mao-Anzug in der "Rote Fahne"-Limousine stehend in vier große Mikrofone, während er die Formationen abfährt. "Genossen, Ihr habt es nicht leicht!", weiß er die Anstrengungen mit einem typischen Spruch zu würdigen. "Dem Volke dienen!", schallt es aus den Kehlen Tausender Soldaten zurück.
Doch etwas ist neu: Anders als seine direkten Vorgänger nennen ihn die Soldaten nicht "Führer" (Shouzhang), sondern "Vorsitzender" (Zhuxi), so wie einst "den großen Vorsitzenden" Mao Tsetung. Sie unterstreichen damit die Allmacht des heutigen Parteichefs, der nach einer Verfassungsänderung bis an sein Lebensende im Amt bleiben kann.
Der Aufstand in Hongkong für mehr Demokratie und Freiheitsrechte und der Handelskrieg der USA mit China sind die beiden größten Krisen, die Xi Jinping seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren zu bewältigen hat. So zielt das Säbelrasseln mit der bisher größten Waffenschau in der Geschichte der Volksrepublik auch auf den großen Rivalen auf der anderen Seite des Pazifiks.
Die Waffensysteme sind beeindruckend: Eine neue, nuklear bestückbare Interkontinentalrakete, die die USA in einer halben Stunde erreichen kann. Ein Hyperschallgleiter, der amerikanischer Luftabwehr ausweichen kann. Ein neuer Langstreckenbomber, der in der Luft aufgetankt weiter in den Pazifik fliegen kann als zuvor.
Die Parade demonstriert die Modernisierung der Volksbefreiungsarmee, die den militärischen Einfluss der USA im Pazifik zurückdrängen will. "China baut robuste, tödliche Streitkräfte mit Fähigkeiten, die sich in der Luft, zur See und im Informationsbereich ausdehnen, und die China in die Lage versetzen, der Region seinen Willen aufzudrücken", warnt der militärische Nachrichtendienst (DIA) der USA. Genau diesen Großmachtanspruch unterstreicht Xi Jinping mit der Waffenschau, die nebenbei den Nationalstolz des Volkes stärken soll.
Doch der kritische Politikprofessor Wu Qiang ist nicht überzeugt. Er sieht ein "falsches Gefühl von Nationalstolz". "China ist jetzt eine Großmacht geworden. Aber das Volk hat nicht wirklich Freiheit und Demokratie. So ist China nicht wirklich eine großartige Macht." Vor 70 Jahren sei China arm gewesen. Seither habe es wirtschaftlich Fortschritte gegeben, aber politisch habe sich nicht viel verändert.
Zwar bemüht die Propaganda das Argument, die Kommunistische Partei habe Hunderte Millionen aus der Armut geholt, was auch im Ausland gerne wiederholt wird. Doch hätte es nicht das Chaos und den langen Widerstand in der Partei gegen marktwirtschaftliche Methoden gegeben, hätten die Chinesen schon Jahrzehnte früher die Armut abgeschüttelt.
Nach Schätzungen sind den Irrwegen von Mao Tsetung zwischen 35 bis 80 Millionen Chinesen zum Opfer gefallen. Trotzdem wird der "große Steuermann" heute weiter verehrt, greift Xi Jinping auf seine alten Methoden der ideologischen Kontrolle zurück.
In Hongkong ging der Versuch nach hinten los. Auch weil die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer geht. Aber auch in China wächst soziale Ungleichheit - so steuert das Milliardenvolk wirtschaftlich ungewissen Zeiten entgegen.
Wann immer die Parteiführung ihren Machtanspruch bedroht sehe, greife sie zu Überwachung und Unterdrückung, sagt Kristin Shi-Kupfer vom Berliner China-Institut Merics. "Die jungen Menschen in Hongkong wollen sich aber nicht alles aufzwingen lassen. Sie wollen mitreden und mitbestimmen, wenn es um ihre Zukunft, ihren Verdienst, ihre Daten geht. Und dafür gehen sie seit Monaten auf die Straße."