Analyse CDU-Coup in Bremen: Sieg scheint klar, Machtfrage aber offen

Er hat die Sensation geschafft: Carsten Meyer-Heder, Spitzenkandidat der CDU, feiert Parteifreunden. Foto: Hauke-Christian Dittrich Foto: dpa

Das Wort historisch wird oft überstrapaziert. Diesmal könnte es zutreffen: Nach über 70 Jahren steht die SPD in «ihrem Bremen» vor einem Scherbenhaufen. Das Wahlergebnis - ein Desaster für die Partei.

 
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Bremen - Genau 20 Anläufe hat die CDU gebraucht. Nun scheint es tatsächlich geglückt: Die Christdemokraten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bremen seit 1946 und nach 19 Bürgerschaftswahlen erstmals stärkste Kraft vor der SPD geworden.

Und das mit einem Quereinsteiger, dem Unternehmer Carsten Meyer-Heder, den vor gut einem Jahr noch niemand kannte. Soweit die vorläufige, noch auf Prognosen basierende Botschaft des Wahlabends. Aber die Machtfrage an der Weser ist damit noch lange nicht geklärt, denn es zeichneten sich Mehrheiten für verschiedene Koalitionen ab. Vor allem die Grünen könnten das Zünglein an der Waage werden und werden entsprechend hofiert.

Die Stimmung der Genossen in der Rheinland-Kneipe "Ständige Vertretung" in der historischen Altstadt Bremens war gedrückt, da half kein Kölsch und kein Kurzer. Der Stadtstaat von Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick und Hennig Scherf - er droht den seit über 70 Jahren regierenden Genossen zu entgleiten. "Diese Zahlen sind durchaus enttäuschend", sagte der amtierende Regierungschef Carsten Sieling (SPD). Das Wort "durchaus" hätte er weglassen können.

Aber die SPD hofft auf die Option Rot-Rot-Grün. Immer habe die bremische SPD sich durch Mut und aufrechten Gang ausgezeichnet. Dies werde so bleiben. "Wir gucken in die Zukunft und wollen gestalten", so Sieling recht vage. SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe weiß, von wem der Gestaltungsspielraum entscheidend abhängt: "Es hängt an den Grünen." Die Linken, die deutlich zulegten, stünden jedenfalls bereit für Rot-Rot-Grün.

Dass Geschichte geschrieben wurde, war den Christdemokraten klar, die knapp 350 Meter Luftlinie entfernt von der SPD in der "Markthalle Acht" feierten. Zwischen den beiden Wahlparty-Orten liegen die Bremer Machtzentren, die Bürgerschaft und das Rathaus, in dem seit Kriegsende jeder Bürgermeister das SPD-Parteibuch hatte. "Die SPD hat klar verloren. Wir haben gewonnen. Und wir haben einen Regierungsauftrag", sagte ihr Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder klipp und klar. "Jamaika fänd' ich gut. Ich kann mir auch Schwarz-Grün vorstellen." Wobei die Zahlen letztere Option zunächst nicht hergaben.

Der CDU ist der Coup an der Weser mit einem absoluten Polit-Greenhorn gelungen: Meyer-Heder, 58 Jahre, ist Softwareunternehmer und "kein Politiker", wie der Zwei-Meter-Mann immer wieder betonte. "Ich will Bürgermeister werden", sagte er. Aber dazu braucht er Partner. Die FDP würde nichts lieber als bei Jamaika einstiegen. Doch die Grünen sehen tiefe Gräben zu den Liberalen bei den Themen Wirtschaft und Verkehr.

Maike Schaefer, grüne Spitzenkandidatin, steht klar auf der Gewinnerseite. Ganz anders als die Sozialdemokraten geht die Ökopartei gestärkt aus der insgesamt 12-jährigen rot-grünen Regierungszeit. Seit Juni 2007 regierten sie zusammen mit der SPD, stellten mit Karoline Linnert als Finanzsenatorin wichtige Stellschrauben in dem hoch verschuldeten Bremen. Nun sind sie die Königsmacher, die entscheiden können, wen sie auf den Bürgermeistersessel hieven.

Der SPD fehlte nach einer ersten Analyse der Forschungsanalyse Wahlen ein Zugpferd. Der unauffällige Bürgermeister Sieling habe sich keinen Amtsbonus erarbeiten können, schrieben die Mannheimer Forscher am Abend.

Einer, der zehn Jahre (1995-2005) im Rathaus saß - natürlich für die SPD - Henning Scherf (80), sprach am Wahlabend im Fernsehen von einem neuen Kapitel. "Nein, die Welt geht nicht unter. Es ist ein Lernprozess. Da müssen wir nicht panisch werden. Das ist ein Denkzettel, ein Auftrag der Wähler besser zu werden." Ob die SPD diesem Auftrag auf der Oppositions- oder Regierungsbank nachkommt, das muss sich zeigen.

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