Ampel für Weltraumwetter-Warnungen Wie man vor Sonnenstürmen besser warnen kann

Markus Brauer/

Sonnenstürme haben im Mai für Polarlichter gesorgt, aber auch Satelliten und GPS-Systeme gestört. Ein Weltraumwetter-Experte warnt nun vor noch stärkeren Stürmen und rät, die bestehenden Skalen zu überarbeiten.

 
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Ständig speit die Sonne Strahlung und geladene Teilchen in den Weltraum aus – den sogenannten Sonnenwind. Wenn dieser Strahlenstrom für kurze Zeit und in einem begrenzten Gebiet sich massiv verstärkt, spricht man von einer Sonneneruption. Foto: Imago/Panthermedia

Vor gut einem Monat sorgte heftiges Brodeln auf der Sonne für die stärksten Sonnenstürme seit 20 Jahren. Sie erreichten auf der entsprechenden Skala mit G5 die höchste Stufe. Nun fordert ein britischer Weltraumwetter-Experte im Fachblatt „Nature“ eine Überarbeitung der Skalen: Diese ließen keinen Platz für einmal im Jahrhundert auftretende Superstürme, obwohl diese eine durchaus drohende Realität seien.

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Ungewöhnlich starke Sonnenaktivität

Im Mai zogen spektakuläre Polarlichter über vielen Teilen der Welt die Menschen in ihren Bann - Ergebnis der derzeit ungewöhnlich starken Sonnenaktivität. Diese sorgte allerdings nicht nur für farbenfrohe Naturschauspiele, sondern auch für Funktionsstörungen bei Satelliten, etwa bei der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, und den Internetverbindungen von Starlink.

In Nordamerika klagten Landwirte über einen Ausfall des satellitengestützten Navigationssystems GPS, wie etwa die „New York Times“ berichtete. Sie mussten demnach ihre Aussaat unterbrechen, da sie das System bei der Arbeit auf den Feldern nutzen.

Trifft ein koronaler Massenauswurf auf das Magnetfeld der Erde, führt das einerseits zu wunderschönen Polarlichtern, kann andererseits aber auch verheerende Folgen für unsere technische Zivilisation haben. Foto: Imago/Cover-Images

Einfache Skalen für ein kompliziertes Phänomen

Eben jene Phänomene veranschaulichen für den Weltraumwetter-Forscher Sean Elvidge ein Dilemma, mit dem sich seine Fachrichtung konfrontiert sieht. „Wie können wir wirksame Warnungen herausgeben und kommunizieren, wenn selbst ein so bedeutender Sturm nur wenig am Leben der meisten Menschen ändert?“

Ein Teil des Problems liege darin, wie Weltraumwetter klassifiziert werde, erklärt Elvidge, der an der britischen Universität Birmingham forscht. „Die derzeitigen Systeme sind vereinfacht, das Weltraumwetter ist es nicht.“

Stärke von Sonnenstürmen

Die Stärke von Sonnenstürmen wird laut Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in drei jeweils fünfstufigen Kategorien angegeben:

  • R für Radiostörungen: ausgelöst durch Röntgenblitze
  • S für Strahlungseffekte: verursacht durch hochenergetische Teilchen
  • G für geomagnetische Effekte: ausgelöst durch Plasmawolken.

Solche Skalen sind laut Elvidge von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Industrie und Regierungen das Risiko durch Weltraumwetter zu deutlichen. „Aber sie sind überholungsbedürftig“, meint der Forscher angesichts jenes geomagnetischen Sturms, der die Polarlichter im Mai verursachte.

Dieses vom Solar Dynamics Observatory der Nasa bereitgestellte Bild zeigt eine Sonneneruption (heller Blitz rechts). Die Sonne produzierte im Mai 2024 ihre größte Eruption seit fast einem Jahrzehnt, nur wenige Tage nachdem ein schwerer Sonnensturm die Erde heimgesucht und an ungewohnten Orten schillernde Nordlichter erzeugt hatte. Foto: Solar Dynamics Observatory/Nasa/AP/dpa

Der war als G5, also extrem, eingestuft worden. „Dieser Sturm wurde durch eine rasche Abfolge von mindestens sieben koronalen Massenauswürfen ausgelöst“, schreibt der Experte. „Als diese mit dem Magnetfeld der Erde kollidierten, komprimierten und störten sie es und lösten so geomagnetische Stürme aus.“

Kein Raum für Superstürme auf der Skala

Elvidge erklärt, dass der Sturm durch viele Faktoren wie Geschwindigkeit, Masse, Dauer und magnetische Ausrichtung der koronalen Massenauswürfe beeinflusst wurde. Gerade die lange Dauer mache den Mai-Sturm zu einem außergewöhnlichen Ereignis. „Wenn ein Ereignis wie das vom Mai, das als ‚extrem‘ eingestuft wird, nur zu minimalen offensichtlichen Störungen führt, wie sollen dann die Risiken eines noch stärkeren Sturms, der einmal in 100 Jahren auftritt, vermittelt werden?“

Polarlichter sind am 25. September 2023 am Himmel über Schillig (Kreis Friesland) zu sehen. Foto: dpa/Markus Hibbeler

Dem Weltraumwetter-Forscher zufolge sei ein solcher Supersturm ein drohendes Szenario – mit gravierenden Folgen, dessen Kosten Milliarden Euro betragen könnten. Elvidge listet Stromnetze, Satelliten sowie Funksignale für Luftfahrt, Schifffahrt und Notdienste als Bereiche, die ein solcher Extremsturm beeinträchtigen könnte.

Erweiterung der bestehenden Skalen durch Warn-Ampel

Um die Schwere solcher Stürme angemessen zu vermitteln, gibt es bereits Vorschläge, darunter eine Erweiterung der bestehenden Skalen oder die Einführung neuer Phänomene wie der Strahlungsdosierung oder der Ausbreitung von Radiowellen in der oberen Erdatmosphäre.

Elvidge selbst plädiert für ein neuartiges Ampel-System, das vor allem diejenigen schnell informiert, die in erster Linie betroffen sein könnten:

  • Gelb: „So könnten beispielsweise gelbe Weltraumwetter-Warnungen Branchen wie die Luftfahrt und die Landwirtschaft warnen, die von kleineren geomagnetischen Stürmen betroffen sein könnten.“
  • Orangefarben: „ Eine orangefarbene Warnung könnte Nutzer wie Stromnetz- und Radarbetreiber auffordern, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz ihrer Dienste zu ergreifen und sich auf Unterbrechungen vorzubereiten.“
  • Rot: „Eine rote Warnung würde signalisieren, dass gefährliches Weltraumwetter zu erwarten ist, dessen potenziell erhebliche Auswirkungen sofortiges Handeln erfordern, und dass Energieversorger, Satellitenbetreiber und Notdienste unverzüglich Notfallpläne umsetzen müssen.“
Die Erde ist durch seine Atmosphäre und sein Magnetfeld vor Sonnenstürmen weitgehend geschützt. In großen Höhen und in den Polargebieten, wo die Feldlinien des Magnetfeldes stärker gegen die Erdoberfläche geneigt sind, ist dieser Schutz allerdings schwächer. Foto: Nasa

Einheitlicher Ansatz bei Weltraumwetter-Zentren

Der Experte schlägt vor, dass Weltraumwetter-Zentren weltweit gemeinsam einen einheitlichen Ansatz zur Verfeinerung von Weltraumwetter-Berichten und Reaktionsstrategien diskutieren und vereinbaren sollten. „Während wir uns auf dem Höhepunkt des Sonnenzyklus befinden, ist es wichtig zu erkennen, dass das Weltraumwetter unser tägliches Leben beeinflusst“, betont Elvidge.

Tatsächlich schwankt die Aktivität der Sonne in einem etwa elfjährigen Zyklus. Der aktuelle Zyklus hat gerade sein Maximum. Ein solches dauert ein paar Jahre und geht mit relativ vielen Sonneneruptionen einher.

Elvidge schreibt: „Durch die Verfeinerung der Klassifizierungs- und Meldesysteme können Wissenschaftler die öffentliche Wahrnehmung besser mit der Realität in Einklang bringen und sicherstellen, dass wir weder falschen Alarm schlagen noch unvorbereitet sind.“

Info: Wie entstehen Sonnenstürme?

Koronaler Massenauswurf
Beim Sonnensturm spricht man auch von einem koronalen Massenauswurf (CME: Coronal mass ejection), bei dem Plasma ausgestoßen wird. Werden die Auswirkungen in großer Entfernung zur Sonne untersucht, so spricht man auch von interplanetarem koronalem Massenauswurf (ICME: Interplenatary coronal mass ejection).

Auslöser
Auslöser von Sonnenstürmen sind schlagartige Änderungen im Magnetfeld unseres Zentralgestirns. Da die Sonne sich am Äquator deutlich schneller dreht als an ihren Polen, verdrillt sich ihr Magnetfeld in einem elfjährigen Rhythmus. Es bilden sich eine Art magnetischer Schläuche, die an die Oberfläche durchbrechen können und dort kühle Zonen – die dunklen Sonnenflecken – erzeugen.

Massenauswurf
Treffen außerhalb der Sonne Magnetfeld-Schläuche aufeinander, kann es zu einer Art Kurzschluss kommen: Die Feldlinien ordnen sich schlagartig neu und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Die Folge: ein sogenannter koronaler Massenauswurf. Dabei wird elektrisch geladene Materie aus der heißen Sonnenatmosphäre – der Korona – mit hoher Geschwindigkeit ins All hinausgeschleudert.

Erde
Trifft ein solcher Massenauswurf auf das Magnetfeld der Erde, führt das einerseits zu wunderschönen Polarlichtern, könnte andererseits aber auch verheerende Folgen für unsere inzwischen weit höher entwickelte technische Zivilisation haben. So kann die empfindliche Elektronik von Satelliten gestört oder auch beschädigt werden. Stark schwankende Magnetfelder beeinflussen zudem elektrische Leitungsnetze und können zu Überlastungen von Transformatoren führen und großflächige Stromausfälle auslösen.