Alleinerziehende auf dem Land Wenn das ganze Dorf tratscht

Von Sarah Bernhard

Weite Wege, eingeschränkte Betreuungszeiten, Vorurteile: Auf dem Land sind Alleinerziehende mit ganz speziellen Problemen konfrontiert. Zwei Frauen haben dem Kurier ihre Geschichte erzählt.

 
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Weil sie sich als Alleinerziehende in ihrem Heimatdorf nicht akzeptiert gefühlt hat, zog Christine Panzer mit ihrer Tochter Stella und ihrem Sohn David nach Weiden. Foto: Harbach Foto: red

CHRISTINE PANZER

Manchmal fühlt sich Christine Panzer (35, Fachwirtin für Sozial- und Gesundheitswesen) wie eine Aussätzige. „Die Leute wollen, dass man verheiratet ist und keine Probleme hat. Wenn man alleinerziehend ist, wird man fertiggemacht.“ Sie kommt aus einem kleinen Dorf bei Kemnath, das Gerede der Leute, als sie mit ihren Kindern David (jetzt zweieinhalb) und Stella (neun Monate) wieder bei den Eltern einzog, war so massiv, dass sie mittlerweile in Weiden wohnt. Kein Einzelfall, sagt Ute Semmelmann von der evangelischen Bildungsstätte/Mehrgenerationenhaus Bayreuth: „Es gibt in der Region noch viele Vorurteile im sozialen Umfeld, bei Nachbarn und Arbeitgebern.“

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In einem Bayreuther Café nippt Christine Panzer an einem Cappuccino. David schaut gebannt einem Bagger vor dem Fenster zu, Stella guckt mit großen blauen Augen um sich. „Natürlich hatte ich nicht geplant, alleinerziehend zu werden. Wir hatten uns sogar ein Kind gewünscht.“ Doch nach Davids Geburt habe ihr Exfreund gemerkt, dass er sich einschränken muss. „Wenn David geweint hat, hat er mich angeschrien, ich soll endlich das Kind ruhigstellen.“ Irgendwann hält Christine Panzer es nicht mehr aus. Sie geht, am Boden zerstört, merkt nicht, dass ihr Körper sich verändert. „Als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, war ich schon im fünften Monat.“ Für keines der Kinder zahlt der Vater Unterhalt.

Vom Staat bekommt sie rund 740 Euro Unterstützung. „Es geht schon, aber ich kann natürlich nicht hergehen und ein S-Oliver-T-Shirt kaufen.“ Abstriche bei der Qualität müsse sie in Kauf nehmen, auch bei wichtigen Dingen wie einem Autositz. „Ich war immer bescheiden, aber manchmal, wenn ich sehe, was andere Kinder haben, bin ich ganz schön deprimiert.“

Ab September wird die 35-Jährige wieder arbeiten, in einem Regensburger Krankenhaus. „Meine Chefin hat gesagt, wenn ich zurück will, muss ich schnell wiederkommen.“ Nach Regensburg ziehen kann Christine Panzer aber nicht: Wohnungen und Betreuungsplätze in der Stadt sind viel zu teuer. Also wird sie um halb sechs Uhr aufstehen, um sieben ihre Kinder zur Betreuung bringen und pünktlich um acht im Krankenhaus sein. Ein typisches Problem, sagt Ute Semmelmann – das sich einfach lösen ließe, wenn mehr Firmen betriebliche Kinderbetreuung anböten, sagt Christine Panzer.

Wenn sie nachmittags nach Hause kommt, muss sie noch einkaufen, putzen – und für ihre Kinder da sein. „Durch diese Alleinverantwortung für alles leiden Alleinerziehende oft an chronischen Erschöpfungszuständen“, sagt Ute Semmelmann. „Manchmal komme ich an meine Grenzen“, bestätigt Christine Panzer. „Dann überlege ich: Wie konnte das passieren?“ Sie hält einen Moment inne. „Aber dass ich ihn verlassen habe, das bereue ich nicht.“

IRIS S.

Das Wohnzimmer der Familie S. ist so gemütlich eingerichtet, dass der zerschlissene Teppich erst auffällt, als Iris S. (41) auf ihn hinweist. „Das war die Katze, als sie noch gelebt hat.“ Geld für einen neuen fehlt, doch so richtig stört das Iris, ihre Tochter Vivienne (14) und Sohn Marcel (17) nicht. „Statt uns zu ärgern, lachen wir“, sagt Iris. Die drei wohnen in einem 60er-Jahre-Bau in Bindlach, zu Foto und Nennung des Nachnamens haben Vivienne und Marcel nein gesagt. „Das ist blöd wegen der Schule“, sagt Vivienne. Obwohl dort weder das knappe Geld noch die alleinerziehende Mutter je Thema waren. „Bei vielen in der Klasse ist das so, es gibt sogar einen alleinerziehenden Vater.“

Obwohl sie erst 14 ist, hat Vivienne im Haushalt volles Mitspracherecht. „Was ich den Kindern materiell nicht bieten kann, gleiche ich dadurch aus, dass wir alle Entscheidungen gemeinsam treffen“, sagt Iris S. Als sie bedauert, dass der letzte Urlaub drei Jahre her ist, ist es die Tochter, die widerspricht: „Aber Mama, wir waren doch im Zoo und im Kletterpark.“ Und dann lachen die beiden über eine gemeinsame Erinnerung.

Vivienne war auch für ihre Mutter da, als auf ihre Bewerbungen eine Absage nach der anderen kam. „Ich habe immer gedacht: Warum merken die denn nicht, wie toll Mama ist?“, sagt die 14-Jährige. Die Antwort könnte lauten: Weil Iris S. 41 Jahre alt ist, keinen Partner hat – und keine Berufsausbildung. „Ich habe 1993 Abi gemacht, mein Lehramtsstudium aber im sechsten Semester abgebrochen, weil ich schwanger war.“ Sie kam in der Firma ihres Cousins unter, bis die 2013 nach Berlin umsiedelte. Und Iris S. auf der Straße stand.

„Fehlende Ausbildung, fehlender Führerschein, abseitige Wohnortlage – das sind die typischen Probleme, mit denen Alleinerziehende zu uns kommen“, sagt Edith Schwarz vom Jobcenter Bayreuth Land. Das Projekt „Kajak“ kümmert sich speziell um solche Fälle – und hat seit Projektbeginn im vergangenen September 28 Frauen eine Arbeit vermittelt.

Auch Iris S. Sie arbeitet bei einer Sanitärfirma in Kulmbach, noch über eine Zeitarbeitsfirma, aber mit der Aussicht auf Übernahme. „Viele Probleme lassen sich lösen, wenn die Motivation da ist“, sagt Edith Schwarz. Mit ganz ähnlichen Worten sagt das auch Iris S. Denn was die Zeit als Alleinerziehende sie vor allem gelehrt habe, sei, sich selbst treu zu bleiben. „Wenn ich alleine zum Elternabend gehe, dann ist das eben so.“ Und eigentlich sei sie sogar ganz gerne alleinerziehend. „Mir kann wenigstens niemand reinquatschen.“