Und Salinger bestätigt das. Selbsthilfegruppen seien immens wichtig, sagt der Suchtexperte, der im Bayreuther Bezirkskrankenhaus tagaus, tagein mit solchen Schicksalen konfrontiert wird, mit dem Ausweichen der Menschen vor zu viel beruflichem oder privatem Druck, mit der Verarbeitung von Schicksalsschlägen.
„Drogen bringen sofort ein glückliches Gefühl“
„Drogen helfen, sie bringen sofort ein zufriedenes, glückliches Gefühl.“ Alkohol ist nur eine von vielen Drogen. Aber eine gesellschaftlich anerkannte. „Viele Alkoholiker sind nach dem Entzug so lange abstinent, so lange sie in Selbsthilfegruppen gehen,“ erklärt er. Sie halten den Betroffenen den Spiegel vor und die Erkenntnis frisch. Hinzukommen müsse der Wille des Menschen und die täglich neue Entscheidung, das zu wollen. „Dann greift ein Lernprozess.“
Ein langsamer Prozess
Rund 1,8 Millionen Männer und Frauen in Deutschland sind alkoholabhängig. Auch Belastungssituationen in der Corona-Pandemie haben viele Menschen verstärkt zum Alkohol greifen lassen, schätzt Salinger. „Das Problem ist, dass sich das verfestigen kann, weil ein Mensch an der Stelle für sich das Gefühl entwickelt, und das wird dann auch im Gehirn abgelegt, das ist eine Lösung. Damit fühle ich mich besser.“ Das funktioniert über den Botenstoff Dopamin. „So kann ich mich in eine Stimmung bringen, die mich zufriedener und glücklicher macht. Wenn ich das regelmäßig tue, ist es nicht nur eine Gewohnheit, sondern eine Form von beginnender Abhängigkeit.“ So erklärt Salinger den Prozess, den viele Menschen durchlaufen. „Es ist meist ganz banal. Man geht nach Hause, möchte sich entspannen, hat Spaß daran, ein Glas Rotwein zu trinken, in dieser Situation kann man – das gilt nicht für alle Menschen – in eine Abhängigkeit geraten.“
Das Anpassen der Dosis
Kritisch fange es erst an zu werden, wenn man sich tagsüber bereits Gedanken macht, ob man denn Rotwein zuhause habe. „Das muss noch in keiner Abhängigkeit enden, aber ab da wird es interessant,“ erklärt Salinger. „Wir reden erst durchaus von Alkoholgenuss, dann von Missbrauch, und dann von Abhängigkeit. Und diese Strecke hat einen Weg, denn es kommt zu Steigerungen. Und die sehen so aus: Zunächst hat es mit einem halben Glas Rotwein gut funktioniert, und dann kommt man in eine Phase, wo man sagt, ich würde auch ein zweites Glas nehmen. An der Stelle kann es dann schwierig werden, weil Sie die Dosis anpassen. Und wenn Sie das Gefühl, das sie vorher gespürt haben, wie Lockerheit, Beschwingtheit, nicht mehr spüren, und dieses Gefühl aber gerne weiter hätten.“
Alkohol ist ein Nervengift
Die neuere Forschung sage nicht umsonst, Alkohol ist ein Nervengift. „Letztendlich wird empfohlen, dass jedes Glas Alkohol zu viel ist.“ Salinger: „Das sind klare Erkenntnisse, und damit tun wir uns alle schwer. Ich muss eine Entscheidung treffen. Und die heißt: Wie entspanne ich mich heute Abend ohne Alkohol. Das ist nicht immer ganz leicht. Denn den bequemen Weg, den man schon gegangen ist, benutzt man gerne weiter. Wir sind alle Menschen mit Schwächen und Stärken.“
Ehrlichkeit tut manchmal weh
Viele werden rückfällig. Salinger: „Rückfall hat immer eine Ursache. In der Klinik sind die Patienten erst einmal oberflächlich unterwegs. Sie möchten das Problem erledigt haben. Oft haben sie die Anregung von Angehörigen oder vom Hausarzt bekommen, da reicht die Entgiftung. Das sind bei uns drei Wochen. Viele denken dann, das Problem ist gelöst. Aber, sie lügen sich was in die Tasche. Ehrlichkeit tut manchmal weh. Und es ist nicht immer leicht, denn das, was ich da sehe, möchte ich gar nicht sehen.
Das bedeutet, man muss sich zusammen mit einem Therapeuten die Arbeit machen, hinzuschauen. Auch hinschauen, was hat es im Vorfeld für Ankündigungen gegeben, die deutlich machten, da passiert ein Rückfall. Und diese Bearbeitung ist schmerzhaft und auch nicht leicht. Aber die beste Möglichkeit, eine Änderung zu erzielen.
Was müsste passieren, um gegenzusteuern?
Salinger: „Ich glaube, wir müssen eine ehrliche Debatte führen. Wir können von verschiedenen Dingen abhängig werden, und es ist wichtig, dass schon Jugendliche in der Schule damit konfrontiert werden und über das Thema spricht.
Die Doppelmoral
Der zweite Teil ist: der Staat verdient ganz gut am Alkohol. Das hat dann eine gewisse Doppelmoral und da gibt es sehr viel Lobbyarbeit. Und dieser Doppelmoral, der fallen viele Menschen zum Opfer. Und natürlich: der Alkohol hat in der Menschheit schon immer dazugehört. Das wäre jetzt ein vermessener Ansatz, das ausmerzen zu wollen. Aber die Problematik wird gerne verleugnet. Und ich glaube, da liegt ein bisschen der Hase im Pfeffer.
Was mir auch Sorgen macht ist, dass sich Frauen in falschen Bereichen emanzipieren. Frauen in Leitungsfunktionen lösen die gleichen Probleme wie ein Mann mit den gleichen Verhaltensweisen. Ich will damit sensibilisieren, man muss nicht die gleichen Fehler machen, um dann festzustellen, das war doch doof. Aber auch da gibt es unterschiedliche Ansichten.“
Um Spenden für die Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ zu sammeln, gibt es auch in diesem Jahr eine Spenden-Gala. Mit vielen Ideen, wie es weitergeht, mit Rückblicken, Filmen, Versteigerungen und interessanten Gästen. Nach derzeitigem Stand der Corona-Festlegungen wird die Gala am Samstag, 27. November, 20 Uhr, unter 2G-plus Bedingungen im Porsche-Zentrum ohne Zuschauer als Live-Stream aufgezeichnet. Weitere Infos gibt es hier >>>