Aids, HIV und Co. Der größte Fehler ist der Gedanke: „Mich trifft es eh nicht“

Mia Stöckel
Stefan Zippel spricht in der Turnhalle der Alexander-von-Humboldt-Realschule. Foto: /Nadja Klinger

Der Psychologe Stefan Zippel spricht vor Schülern in der Alexander-von-Humboldt-Realschule über altersgerechte Aufklärung und gibt Informationen zu Aids, HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.

 
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Sind Geschlechtskrankheiten ein Großstadtproblem und ist schwul eine harmlose Beleidigung? Über solche und weitere Mythen klärte Stefan Zippel Zehntklässler an der Alexander-von-Humboldt-Realschule am Freitag auf. Er ist Leiter der Psychosozialen Aids-Beratungsstelle an der Uniklinik für Dermatologie und Allergologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2003 informiert er Schüler im Bereich sexuell übertragbarer Krankheiten und allem, was dazugehört. Es geht ihm um angemessene Sprache, ein gesundes Miteinander und warum es nicht nur queere Menschen betrifft.

Die größte Falschannahme ist in seinen Augen: „Mich trifft es eh nicht“. Er hat bereits erlebt, dass eine Schulleitung sagte, dass Geschlechtskrankheiten ein Phänomen der Großstadt seien. Dass es das bei ihnen auf dem Land nicht gäbe. Sexuell übertragbare Erreger sind allerdings überall zu finden. Durch mangelndes Wissen über Symptome und Folgen sind sie jedoch deutlich schädlicher als mit der richtigen Behandlung. Je schneller man zum Arzt geht, desto schneller ist die Krankheit auch wieder weg. Unbehandelt können sich Konsequenzen bis hin zur Unfruchtbarkeit oder im schlimmsten Fall auch dem Tod erstrecken. Umso wichtiger ist es, die Tabuisierung, die solchen Themen lange galt, aufzuheben.

Genitalien beim Namen nennen

Der Experte rät Eltern, Genitalien ihren Kindern gegenüber von Anfang an richtig zu benennen, genau wie alle anderen Körperteile, „damit dem Kind auch klar ist, dass Geschlechtsorgane auch ein Teil von ihm sind, für den es sich nicht schämen muss“. So können sie Missbrauchsfälle auch besser beschreiben. Die Unterstellung der „Frühsexualisierung“, also dass Kinder dadurch schon im jungen Alter in die Sexualität gedrängt werden würden, weist Zippel klar zurück. Jemand, der verantwortungsvoll damit umgeht, werde die Fragen der Kinder beantworten.

Fragen können natürlich nur gestellt werden, wenn es entsprechende Worte dafür gibt. Eine weitere Folge: In die Pubertät zu kommen, erleben sie nicht mehr als peinlich oder unangenehm. Das gilt für das Zuhause, aber auch in der Schule. Wenn in Schulen und Kindergärten ein offenes Klima besteht, in dem über solche Dinge gesprochen wird, dann sei das ein entscheidender Vorteil. Schüler merken, dass sie sich nicht verstecken müssen und ohne Angst fragen können.

„Schwul nicht als Beleidigung nutzen"

Zu einer Bewältigung der Stigmatisierung und Diskriminierung gehöre auch, Akzeptanz für Menschen der LGBTQ*-Community zu schaffen. „Wir sagen immer, wir wollen eine vielfältige Gemeinschaft sein, jedem die Möglichkeit geben, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln und dann gehören eben alle dazu“, sagte Zippel. Auf die Frage, ob er sich denn auch als Aktivist sehe, antwortete er, dass Aktivist ein schweres Wort sei. Aber er sei parteiisch und zwar für genau diese Menschen, weil er immer wieder erlebe, dass sie aufgrund ihrer Sexualität benachteiligt oder Opfer von Gewalt werden. „Wir sollten über Sexualität reden, aber angemessen und Wörter wie schwul nicht als Beleidigung nutzen“, betonte Zippel. Das erzeuge einen verantwortungsvollen, ernsthaften Umgang mit anderen und sich selbst.

Der Referent wünscht sich, dass Jugendliche, die mit Vorurteilen und mangelndem Wissen in der Schule sitzen, auch erreicht werden. Denn Geschlechtskrankheiten seien nicht nur ein homo-, sondern auch ein heterosexuelles Problem. Das werde aber durch fehlenden Bezug oft nicht bedacht.

Angenehme Rückmeldung

In einer Zwischenpause sprach Klaus von Stetten, Leiter des Gesundheitsamtes in Bayreuth, Stefan Zippel an. Er erklärte, queere Bücher in der Bibliothek seiner Kirchengemeinde aufstocken zu wollen, weshalb er den Psychologen nach der Liste fragte, die kurz zuvor in der Präsentation gezeigt wurde. Es sei für Zippel sehr angenehm, die Rückmeldung zu bekommen, dass Menschen etwas mit dem vermittelten Wissen anfangen können.

Ein großes Problem sei jedoch die „katastrophale Impfquote“ gegen Humane Papillomviren. Diese Viren sind für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich. Je früher man impft, desto besser wirkt die Impfung und es empfiehlt sich bereits ab neun Jahren, nicht erst nach dem ersten sexuellen Kontakt. Der Experte aus München sagt auch, dass mehr Jungen zum Urologen gehen sollten. Viele gehen wegen Akne zum Hautarzt und der ist wiederum Ansprechpartner für Geschlechtskrankheiten. Zwei Aufgaben sind also mit einem Besuch erledigt.

Appell: „Trau dich“

Sein abschließender Appell: „Trau dich über deine sexuellen Wünsche oder Probleme zu reden und schaue dir deinen Körper regelmäßig gut an.“

Doch wie kam der Vortrag bei den Schülern an? Drei Befragte fanden es sehr informativ, auch angesichts der vielen drastischen Bilder, die zeigten, wie solche Krankheiten aussehen können. Auch Zippels respektvoller Umgang mit Grenzen, indem er beispielsweise Vorwarnungen oder die Möglichkeit gab, vor den gezeigten Bildern wegzuschauen, kam gut an. Den Jugendlichen war nicht langweilig und sie freuten sich, über das neue Wissen, um in Zukunft nicht aus allen Wolken zu fallen, wenn es einen vielleicht doch selbst betreffen sollte.

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