300 Kaffeekannen suchen eine Heimat

Von Norbert Heimbeck

"Wo sollen wir künftig nur hin?" Diese Frage hört Erika Telle zurzeit häufig. Die Wirtin der Gaststätte "Zum oberen Tor" hört auf. Nach fast 30 Jahren schließt sie Ende März das Lokal in der Richard-Wagner-Straße. Ihre Stammgäste vermissen schon jetzt "das gute Essen".

 
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Erika Telle hat eine Sammlung von knapp 300 Kaffeekannen. Da sie in der Gaststätte Zum Oberen Tor aufhört, sucht sie eine neue Heimat für ihre Schmuckstücke. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Die Enttäuschung der Gäste macht den Abschied "nicht leichter", sagt Erika Telle ganz leise. Das Alter - das ist der Grund, weshalb die Wirtin den Vertrag mit der Brauerei nicht verlängert hat. Sie selbst wird 69 Jahre alt, ihre Köchin Gerda Purucker ist ähnlich alt, Kellnerin Emmi ist 62 Jahre. "Wenn eine von uns krank wird und länger ausfällt, geht nix mehr", sagt Telle. Weil sie "einfach keine jungen Leute zur Mitarbeit" bekomme, sei der Entschluss zur Schließung des Lokals eine Vorsichtsmaßnahme.

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Der Abschied fällt nicht leicht. Denn Erika Telles Leben war durch die Gastronomie bestimmt: Vor dem „Oberen Tor“ arbeitete sie im Vogels-Gärtla, beim Schinner, im FC-Heim und im Kurhaus in Wirsberg. Das waren zwar nur kurze Gastspiele im Vergleich zu den 30 Jahren im Oberen Tor. Aber sie zeigen, wie sehr die Wirtin ihre Gäste mag: „Wenn ich tatsächlich mal krank war, hätte ich am liebsten mein Bett nach unten gestellt.“ Denn sie hat eine schöne Wohnung direkt über der Gaststube: „Hoffentlich kommt mir die Brauerei da ein bisschen entgegen“. Nach so langer Zeit noch einmal umziehen müssen, diese ungeklärte Frage macht den Abschied besonders schwer.

Das Wirtshaus von Erika Telle ist etwas Besonderes: In einer Zeit, in der sogar Profiköche immer öfter zu Fertigprodukten greifen, legt sie Wert auf Selbstgemachtes. „Bei uns gibt’s keine Päckchensoßen oder Fertigsuppen. Hier wird noch wie zu Omas Zeiten gekocht.“ Auch moderne Küchentechnik wie etwa ein Konvektomat kommt ihr nicht ins Haus: „Damit unser Braten schön zart wird, bleibt er halt vier Stunden in der Röhre.“ Zu den Lieblingsgerichten ihrer Stammgäste gehören fränkische Spezialitäten wie Schäuferla und Rouladen – und die Riesen-Currywurst mit hausgemacher Soße. „Aber auch unser Eintopf mit Linsen oder Wirsing kommt gut an“, sagt die Wirtin, die von aktuellen Ernährungstrends wie dem Veganismus nicht viel hält: „Vegetarisch verstehe ich ja noch, wenn man wenigstens Fisch isst. Aber Veganer dürften ja auch keine Lederschuhe tragen“.

Obwohl sie ein paar Tische vor dem Lokal aufgestellt hat, ist Erika Telle nicht glücklich: „Es ist halt kein richtiger Biergarten. Außerdem liegen wir auf der Nordseite der Häuserzeile, da fehlt uns ständig die Sonne.“ Überhaupt hadert sie mit der Lage des Hauses: „Die Fußgängerzone endet am Sternplatz. Bei uns in der hinteren Richard-Wagner-Straße ist nichts mehr los. Uns fehlt die Laufkundschaft.“

Wie kam Erika Telle überhaupt zur Gastronomie? „Mein damaliger Ehemann war Kellner. Mein Vater hatte mir den Rat gegeben: „Mach‘ Dich selbstständig, eröffne ein Lokal.“ Leider hat er das dann nicht mehr erlebt.“ Im Rückblick vermisst Telle nur eines: „Ich hatte keine Zeit für meine Kinder. Trotzdem sind anständige Leute aus ihnen geworden.“ Die beiden Söhne haben immer mitgeholfen, wenn im Lokal eine zusätzliche Hand gebraucht wurde. Und seit er sieben Jahre alt war, steht Enkel Henry parat, wenn’s am Wochenende besonders viel zu tun ist.

Wie geht’s jetzt weiter? Während der Jahrzehnte in der Gastronomie hat Erika Telle eine ungewöhnliche Sammlung aufgebaut: Sie besitzt mehr als 300 Kaffeekannen. In allen Formen, Farben, bunt gemustert und einfarbig, in modernem Design oder aus Omas Zeiten, reiht sich das Porzellan an den Wänden des Lokals - so wie in anderen Gaststätten die Bierkrüge. „Oben in der Wohnung habe ich noch mehr Geschirr“, erzählt sie. Zu schade zum Wegwerfen sind die Kannen. Deshalb hat sie eine Tafel vors Haus gehängt, auf der sie ihre Sammlung zum Kauf anbietet.