30 Jahre wiedervereint Date mit dem Platten-Schmuggler

Von Sophia-Caroline Kosel
Symbolfoto: picture alliance/Andreas Huwald/dpa-tmn Quelle: Unbekannt

BERLIN. Trotz aller Indoktrinierung seit frühester Kindheit: Die Jugend der DDR – und nicht nur die – hörte gerne Musik aus kapitalistischen Ländern. Die sozialistischen Radiosender durften sie auch spielen. Aber die Redakteure mussten sich dafür Einiges einfallen lassen.

 
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Ob Michael Jackson oder Peter Maffay: Musik vom „Klassenfeind“ war in der DDR ganz offiziell in den staatlichen Radiosendern zu hören. Aber die Einfuhr von Schallplatten aus dem Westen war verboten. Auf welchen Kanälen gelangten die Songs von der anderen Seite der Mauer dann aber in die DDR-Rundfunkstudios? Der Radioredakteur Wolfgang Martin, einst Leiter der Musikredaktion von Jugendradio DT 64, beschreibt die verschiedenen, teils illegalen und nicht ungefährlichen Wege – in seinem Buch „Wie die Westmusik ins Ostradio kam“.

Lange galt in der DDR: Im Radio und auch auf der Tanzfläche mussten 60 Prozent der Musik aus sozialistischen Ländern stammen – aber 40 Prozent der Songs durften von Musikern aus dem „NSW“, also dem Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, kommen. Ein Grund für diese Öffnung: Die jungen Leute in der DDR sollten nicht zum West-Radio gedrängt werden. Ein „vertrauenswürdiger“ Abteilungsleiter beim DDR-Radio durfte daher für einen „nicht sehr hohen Devisen-Betrag“ auf Schallplatten-Shoppingtour in West-Berlin gehen, wie Martin beschreibt. Leichter war es, in Ungarn und in der CSSR Alben von Musikern aus dem „kapitalistischen Ausland“ zu kaufen. Aber, so Martin: „Es gab dann manchmal technische Probleme, weil es sich um Pressungen aus Indien handelte, die eine sehr viel schlechtere Tonqualität aufwiesen als die Originale.“

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Die DDR-Radiomacher durften auch Musik mit vielen Sendern anderer Staaten austauschen, etwa aus Griechenland, Italien und Spanien. Im Gegenzug erhielten die westlichen Sender die jeweils aktuellen Pop- und Rock-Hits aus der DDR. Auch manch Promoter aus dem Westen brachte bei Treffen mit Bands und Radio-Redakteuren aktuelle Platten mit in die DDR.

Doch all das reichte nicht, um den Hörern genügend Musik aus dem Westen anbieten zu können. So probierte Martin auch illegale Methoden aus: „Mein erstes Opfer war meine Oma, die als Rentnerin schon in den 1960er-Jahren legal nach ,drüben’ reisen durfte“, schildert er. Aus Angst vor dem Zoll lehnte die Oma den Wunsch ihres Enkels, ihm statt Schokolade Schallplatten mitzubringen, erst vehement ab. Doch dann brachte sie zwei Singles mit. „Erst viele Jahre später erzählte sie mir, wo sie die beiden Singles versteckt hatte, nämlich in ihrer Bluse, am BH. Dabei hatten die Zöllner nicht einmal ihren Koffer kontrolliert“, berichtet der Enkel.

Mehrmals habe er sich danach mit professionellen Platten-Dealern eingelassen. „Von einem Westberliner Plattendealer, der sich am Bahnhof Friedrichstraße versteckt in Ecken aufhielt, kaufte ich meine erste original Westschallplatte, für damals sagenhafte 50 oder sogar 60 DDR-Mark.“ Es war eine LP der Tremeloes.

Später freundete sich Martin mit dem Kollegen Olaf Leitner vom Rias an; „was als persönliche und höchst gefährliche Berührung mit dem Klassenfeind galt“. Leitner schrieb nicht nur ein Buch über die Rockszene der DDR, in dem die Musikredakteure in Ost-Berlin oft nachschlugen. Er gab Musikern aus dem Osten auch oft Schallplatten für Martin mit.

Frank Schöbel, einer dieser Boten, schreibt in seiner Autobiografie: „Eigentlich war ich so was wie ein kleiner musikalischer Ost-West-Briefkasten.“ Wolfgang Martin habe ihm Schallplatten etwa von den Puhdys, Karat und Silly für den West-Kollegen mitgegeben – und er habe Platten von Leitner in den Osten mitgenommen, „meist englisch-amerikanische Produkte“.

Manchmal bekam Martin solche Alben auch von den Musikern direkt: Er interviewte zahlreiche West-Stars. Die vier Musiker von Abba etwa hätten 1974 bei einem Abendessen Berliner Eisbein mit Sauerkraut „mit sichtlicher Freude und Genuss“ verspeist, schreibt er. Julio Iglesias sei nach einem Auftritt so sehr von Damen des Friedrichstadt-Palast-Balletts umringt gewesen, dass der Radioreporter vom Manager immer wieder vertröstet wurde – und als das Interview schließlich begann, „hatte Iglesias gleichzeitig zwei Tänzerinnen rechts und links auf seinem Schoss sitzen“.